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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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sein Friedhofsgewand, dachte sie.
    Der Rasen unter ihren Füßen war weich und hatte eine bräunliche Färbung angenommen, buntes Laub lag überall verstreut. Feine Nebelschwaden waberten umher wie körperlose Geister, strichen über Bänke und Pflanzen und hinterließen überall winzige Wasserperlen. Die Seerosen auf dem sanft geschwungenen Teich waren verblüht und die Holzbrücke sah alt und zerbrechlich aus.
    Annabel schaute hoch zu den Buntglasfenstern des Aufenthaltsraums und weiter zu den Zimmern der Patienten. Doch nirgendwo brannte ein Licht oder war auch nur der Schatten eines Menschen zu sehen.
    Während ihres Spaziergangs mit Dr. Parker hatte sie die großzügigen Arkadengänge auf dieser Seite des Gebäudes bewundert. Zahlreiche Patienten hatten dort ihre endlosen Runden gedreht. Sogar auf der breiten Treppe, über die man vom Erdgeschoss in den Park gelangte, hatten sie gesessen. Jetzt wirkte alles trostlos und verlassen, als hätte hier schon seit Jahren niemand mehr gelebt. Ein Schauer überkam sie.
    »Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte«, sagte Michael und steckte die Hände in die wärmenden Manteltaschen. »Das jedenfalls nicht.«
    Annabel nickte stumm. Auf der Fahrt hierher waren ihr die verschiedensten Szenarien durch den Kopf gegangen. Die meisten begannen damit, dass sich ein paar Pfleger, angefeuert von Dr. Parker oder Schwester Shelley, beim Betreten des Geländes auf sie stürzten, und endeten damit, dass sie an ein Bett gefesselt und mit Medikamenten vollgepumpt den Rest ihres Lebens vor sich hin vegetierte. An so was wie das hier hatte sie nicht gedacht. »Wir sollten uns die Statue ansehen, bevor uns doch irgendjemand dazwischenkommt«, schlug sie vor.
    Die marmorne Statue befand sich auf der Ostseite des Hauses. Sie sah genauso aus, wie Annabel sie gezeichnet hatte. Apollo selbst war gut zwei Meter groß und stand auf einem etwa ein Meter hohen steinernen Sockel. Um die Statue hatte man einen Kreis von elf Steinkugeln angelegt, die ihrerseits auf kleinen Sockeln ruhten. Sie erkannten, dass es sich dabei um Abbildungen des Mondes handelte.
    »Da sind römische Ziffern«, sagte Michael. Sofort kniete er sich vor den Sockel mit der Nummer elf und tastete die Kugel ab. Sie ruhte in einer Mulde und ließ sich bewegen. Sie war nur halb so groß wie eine Bowlingkugel, aber erstaunlich schwer. Als Michael sie anhob und neben den Sockel legte, rutschte ein fingerdickes Metallröhrchen aus ihr heraus und fiel ins Gras. Es glänzte silbern und besaß einen kleinen Schraubverschluss. Annabel kniete sich neben Michael, nahm das Röhrchen und öffnete es. Sie drehte es kopfüber und ein zusammengerolltes Stück Papier rutschte in ihre Hand. Sie rollte es auseinander.
    »Noch eine Botschaft?«, fragte Eric und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
    Annabel nickte. »Wenn das Ende naht, ist der Schlüssel nur ein Spiel. Noch drei Tage«, las sie.
    »Wenn das Ende naht«, wiederholte Eric düster. »Das klingt nicht gerade nach Happy End, oder? Vielleicht beschleunigen wir die Sache und hängen uns gleich auf. Bäume gibt es hier ja genug.«
    »Eric, hör auf! Es ist noch nicht vorbei. Wir haben noch drei Tage.« Annabel schaute ihn ernst an. Sie wollte nicht zulassen, dass einer von ihnen schon wieder in Depressionen verfiel. Nicht jetzt. Nicht, bevor sie alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatten.
    Entschlossen straffte sie die Schultern. »Wir sind hierhergekommen, um es zu Ende zu bringen, wisst ihr noch? Und wir sollten es nicht winselnd tun. Diese Genugtuung dürfen wir ihnen einfach nicht verschaffen.« Bevor Eric einen seiner typischen Kommentare dazu abgeben konnte, legte sie ihm einen Arm um die Schulter und führte ihn langsam zur Eingangstür des Hauses. »Hör zu, wenn es einen Ort gibt, an dem wir Antworten finden, dann hier. Also lass uns das verdammte Haus auf den Kopf stellen, okay?«
    Annabel sah Michael, der ihnen in einigem Abstand folgte, über die Schulter hinweg an. Er nickte ihr zu.
    41
    Sie begannen mit der Durchsuchung in den beiden obersten Stockwerken. Michael hoffte, im Kabuff des Wachmannes ein paar Taschenlampen zu finden, ohne die sie im Keller aufgeschmissen wären. Denn wie es aussah, gab es im ganzen Haus keinen Strom mehr. Auch die Heizung funktionierte nicht.
    Und so arbeiteten sie sich gemeinsam von Raum zu Raum, von Etage zu Etage. Doch egal hinter welche Tür sie auch schauten, jedes Zimmer war verlassen. Dabei musste vor Kurzem noch jemand hier gewesen

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