Remember
werden würde. Aber sie konnte es nicht.
Alles, was ihr noch geblieben war, war ein dünnes, kaum hörbares Stimmchen in ihrem Kopf, das unaufhörlich flüsterte: Wenn ich wirklich verrückt bin, ist es doch egal, woran ich glaube. Da kann ich genauso gut an die Hoffnung glauben.
Annabel stand auf und griff nach Erics Hand. »Komm hoch!«, befahl sie und zog den völlig apathisch wirkenden Eric auf die Beine. »Lass uns irgendwo traurig sein, wo es was zu futtern gibt.«
Michael war wie in Trance. Er kam erst wieder zu sich, als er vor der offenen Sicherheitstür im ersten Stock stand, ahnungslos, wie er dort hingekommen war. Er blieb stehen und schloss die Augen. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre sein Gehirn auf die doppelte Größe angeschwollen, das nun seine Augen von innen aus dem Schädel presste. Sein Magen rebellierte und katapultierte einen kleinen Schwall Säure hoch in seinen Mund. Mit zusammengekniffenen Augen schluckte er sie wieder runter. Er musste sich regelrecht zwingen, nicht zu kotzen.
Was soll ich nur tun?, flüsterte er und wischte sich die Tränen vom Gesicht. Es gab keinen Ort, an den er gehen, wohin er fliehen konnte, wenn die Ursache für alles in seinem Kopf war.
Wenn das Ende naht. So hatte es auf der verdammten Botschaft gestanden. Und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es endete, das teuflische Spiel, das sie im Kreis hatte laufen lassen wie Plastikfiguren auf einem Spielbrett.
Während er schweren Schrittes weiter in Richtung Aufenthaltsraum ging, hatte er das Gefühl, als würden die Wände um ihn herum immer näher kommen und die Risse auf dem schäbigen Putz zu klaffenden Wunden mutieren, aus denen ekliger gelblicher Eiter floss. Das verfluchte Haus lebt!, schoss es ihm durch den Kopf und er glaubte, sogar dessen Herzschlag zu spüren. BUMM!… BUMM!… BUMM! Es war das tiefe Dröhnen eines kalten, lieblosen Herzens, das in den Tiefen des Kellers seinen Ursprung hatte und bei jedem Schlag seine Fußsohlen kribbeln ließ.
Das verfluchte Haus lebt und es hält uns hier fest!
Als er sich vor Dr. Parkers Zimmer wiederfand, zog er unvermittelt die schwere Stablampe aus seiner Manteltasche und schlug sie gegen die Tür. Zuerst war es ihm gar nicht bewusst, als würde ein anderer seinen Arm führen. Doch dann schlug er erneut zu und wieder und wieder und immer kräftiger hieb sein Arm auf die Tür ein, so lange bis sich tiefe Dellen und Risse auf der dunklen Oberfläche abzeichneten und kleine Splitter aus Farbe und rohem Holz zu Boden fielen.
Und plötzlich, ganz lautlos schwang die Tür ein Stückchen auf.
Michaels Arm verharrte mit der Lampe in der Luft, sein Atem ging stoßweise und trotz der Kälte fühlte er Schweiß auf seiner Stirn. War ich das?
Er hatte sich wieder unter Kontrolle, ließ die Lampe sinken und öffnete die Tür so weit, dass er durch das Vorzimmer hinein in Parkers Sprechzimmer schauen konnte. Es war niemand da.
Während er das Vorzimmer durchquerte und langsam auf den antiken Schreibtisch zuging, fragte er sich, warum die Tür sich nach ein paar Schlägen hatte öffnen lassen. Hatte sie vorhin einfach nur geklemmt?
Michael blieb vor dem Schreibtisch stehen und steckte die Lampe in seine Manteltasche. Nichts hatte sich hier verändert, dachte er. Der Kugelschreiber, mit dem Dr. Parker seine Notizen machte, lag auf einem Stapel Papiere, und auch das Schachbrett stand an seinem Platz. Es sah aus, als wären er und seine Sekretärin nur mal eben zum Mittagessen gegangen. Was will ich hier eigentlich noch?, fragte er sich. Wir haben gefunden, was es zu finden gab .
Michael drehte sich um und wollte das Zimmer wieder verlassen, als sein Blick auf die Fotos neben der Tür fiel.
Augenblicklich beschleunigte sich sein Puls wieder, als er zwischen den Fotos ein neues entdeckte. Es war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme und sie zeigte ihn, Annabel, Eric und George bei ihrer Ankunft am See. Was für sich betrachtet schon beunruhigend war. Wirklich beängstigend war dagegen etwas anderes. Michael verstand nicht viel von Fotografie. Aber er war sich sicher, dass es so eine Aufnahme gar nicht hätte geben dürfen. Nicht aus dieser Perspektive. Er nahm den Rahmen von der Wand und setzte sich auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch.
Das Bild zeigte die vier aus der Vogelperspektive, kurz bevor sie das Haus betraten. Der Fotograf hätte demnach hinter ihnen mitten über dem See schweben müssen, um sie aus diesem Blickwinkel fotografieren zu können. Es war
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