Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
haben ... Aber entschuldigen Sie mich, ich muss gehen.« Die alte Dame berührte leicht ihre perfekt frisierten Haare. »Mein Friseur mag es nicht, wenn ich mich verspäte.« »Aber natürlich. Au revoir, Madame.«
Sara blickte noch eine Weile auf Jacob Weinstaubs Wohnungstür. Dann folgte sie der alten Dame ins Erdgeschoss und trat aus dem kühlen Dämmerlicht des Treppenhauses in den sonnigen, warmen Vormittag hinaus. Sie überquerte die Straße und drehte sich noch einmal zu der Wohnung im dritten Stock um. In den hohen Fenstern hingen helle Vorhänge. Erst jetzt ging ihr auf, dass man auf der anderen Seite von Weinstaubs Wohnung einen Blick aufs Meer haben musste.
Vor der Haustür hielt ein dunkler Range Rover an. Sara wurde sogleich aufmerksam und zog sich in den Schatten des gegenüberliegenden Hauses zurück. Aus dem Auto stiegen zwei Männer in Anzügen. Sie trugen schwarze Taschen und betraten damit das Haus. Es bestand nicht der geringste Zweifel, zu welcher Wohnung sie wollten. Die Neugier brannte immer stärker in Sara.
Sie wollte gerade über die Straße gehen und erneut das Haus betreten, in dem sich Weinstaubs Wohnung befand, da bemerkte sie vor dem Käseladen einen Mann in Sakko und Cordhose, der sich rasch abwandte, als ihr Blick auf ihn fiel.
Sara hatte sich stets für eine mutige finnische Frau gehalten, die sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ. Aber jetzt fühlte sie sich auf unangenehme Art schutzlos. Wahrscheinlich hatte der Mann die ganze Zeit schon das Haus im Auge gehabt. Sara änderte ihren Plan; statt ins Haus zurückzukehren, ging sie die Rue Louis Blanc entlang in Richtung Ufer. Ein rascher Blick über die Schulter verriet, dass der Mann ihr folgte.
Die Angst ließ Sara ihre Schritte beschleunigen. Wie lange war der Mann ihr schon gefolgt? Und vor allem: Warum hatte er Weinstaubs Wohnung so genau im Auge behalten?
Sara bog in die Fußgängerzone ein. Vor einem Restaurant putzten Küchenhilfen mit flinken Messern Krabben und Austern an Tischen voller Eis und Metallschalen. Sara merkte, wie der Mann hinter ihr den Abstand verringerte. Sie ging noch schneller. Die schlimmste Touristenflut an der Cöte d'Azur war bereits vorbei, da der Sommer in den Herbst überging, aber in der Fußgängerzone war davon nichts zu merken. Sara drängte sich durch die langsam vorwärtsströmende Menge und musste aufpassen, nicht gegen Kleiderständer und Verkaufstische voller Tischdecken mit ProvenceMustern, Honiggläsern und Flaschen mit Olivenöl zu stoßen. Der Mann kam immer näher.
In Sara stieg Panik auf, als sie sich den Weg durch eine Schar Frauen bahnte, die stehen geblieben war, um in einer Kiste mit Handtaschen zu hundert Francs zu wühlen. Der Mann blieb ihr hartnäckig auf den Fersen.
Die Zunge klebte an Christians Gaumen, und es pochte schmerzhaft in seinem Kopf. Ihm lag das warme Klima nicht, im Gegensatz zu Tina. Als sie an einem heißen Tag in Eze gewesen waren, einem Bergdorf östlich von Nizza, hatte Tina den Tag in vollen Zügen genossen, während Christian sich einen leichten Sonnenstich geholt hatte. Das durfte sich jetzt nicht wiederholen.
Er zog den Pullover aus und band ihn sich um die Taille. Weit unten lag Pjevac zwischen Meer und Bergen. Er erinnerte sich, wie beschwerlich es gewesen war, die steile Straße in die Stadt hinunterzufahren, aber zu Fuß und bergauf war es erst recht anstrengend. Er befürchtete, seine vor Erschöpfung zitternden Beine könnten ihm den Dienst verweigern, und machte halt. Seine Hand griff mit schon routinierter Bewegung nach der Kassette in seiner Tasche. Der Kassette durfte nichts passieren. Er musste es schaffen, sie irgendwo anzuschauen. Aber zuvor musste er ein Telefon finden. Ein Geräusch aus der Ferne weckte seine Aufmerksamkeit. Ein Hubschrauber. War er Bestandteil des Hubschrauberverkehrs zur Unglücksstelle - oder suchten sie ihn, Christian, nun auch aus der Luft? Das Geröll unter seinen hastigen, taumelnden Schritten geriet ins Rutschen, Steine sprangen den Hang hinunter, und er musste langsamer gehen. Die Nähe des Unglücksorts pumpte neue Energie in seine Adern. Wieder blieb er stehen. Das Geräusch des Hubschraubers war nicht mehr zu hören, aber das hatte nicht unbedingt etwas zu bedeuten.
Allmählich näherte sich Christian der Straße, die nach Kotor führte, wobei er immer wieder Schutz im Gelände suchte. Der Schlafmangel belastete seine Glieder, aber seine Gedanken waren klar. Er analysierte die Ereignisse
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