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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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weitere Kinder, alle hatten Rucksäcke auf und außerdem Hefte in der Hand. Es waren Schulkinder. Sie lachten, als sie an Christian vorbeizogen.
    Er wusste nicht, was er tun sollte. Konnte es sein, dass sich jemand trotz der Kinder auf ihn stürzen würde ? Sollte er weiter rennen, ohne sich um die Reaktion anderer Leute zu kümmern? Auf keinen Fall wollte er die Kinder als Schutzschild missbrauchen, auch nicht unabsichtlich.
    Der Zug der kleinen Schüler führte den Hang hinunter zur Innenstadt. Inmitten der Kinder ging eine Lehrerin und bemühte sich, die Schar unter Kontrolle zu halten. Christian hielt den Blick auf die Kinder gerichtet, entfernte sich aber von ihnen. Viele der Kleinen schauten lieber auf den Fremden, der sich so komisch benahm, als auf die Pflanzen, die ihnen von der Lehrerin erklärt wurden. Das fröhliche Lachen erleichterte Christian nicht. Er befürchtete, jeden Moment Coblentz in seinem Mantel den Hang heraufkommen zu sehen.
    Die Lehrerin trieb die Kinder jetzt zur Eile an, und Christian lief in die entgegengesetzte Richtung weiter. Bald schon war er wieder allein, und die Stimmen der Kinder entfernten sich immer mehr. Der bewaldete Hang wurde steiler, die Umgebung kam Christian nun überhaupt nicht mehr bekannt vor. Bäume und Steine, Meer und Berge, alles sah gleich aus. Vernarbte Baumstämme, bemooste Felsbrocken ... überall, wohin man auch sah. Er lief hin und her auf der Suche nach einer Lücke zwischen den Bäumen, durch die man den Kirchturm sehen könnte. Endlich erkannte er den umgestürzten Baumstamm und die schwarzen Spuren des Blitzes wieder. Mit zitternden Beinen ging er vor dem Felsspalt in die Hocke und schob die Hand hinein. Der Spalt war leer.
    Mit immer schneller hämmerndem Herzen tastete Christian die Wände der Felsöffnung ab. Vergebens. Er sprang auf. Die Kinder?
    Er zwang seine Beine, sich noch einmal in Bewegung zu setzen, und rannte den Hang hinunter, auf der Suche nach den Schülern. Er stolperte über eine Wurzel, rappelte sich aber schnell wieder auf und rannte mit brennenden Muskeln weiter, bis er schließlich stehen blieb und lauschte. In der Ferne hörte er helles Lachen. Die Frage war, ob sich die Kassette überhaupt bei den Kindern befand? Konnte es sein, dass seine Verfolger sie bereits gefunden hatten? Natürlich nicht. Die Kinder mussten sie haben. Nach einem Sprint, der seine Lunge voll beanspruchte, bekam er die Schülerschar in den Blick. Gerade bildete sie auf einer üppigen Wiese zwischen dem Wald und den ersten Häusern einen Kreis um die Lehrerin. Die Verfolger waren nirgendwo zu sehen, aber Christian wusste, dass sie ihn fieberhaft suchten.
    Er näherte sich dem Kreis der Kinder und beruhigte seinen Atem. Einige der Kleinen drehten sich neugierig zu ihm um. Er wusste, dass er rot im Gesicht war und verschwitzt aussah. Sein Blick schweifte über die Rucksäcke und hielt bei der jungen Lehrerin inne, deren Korkenzieherlocken auf schmale Schultern fielen. »Entschuldigung«, sagte Christian mit vor Erschöpfung rauer Stimmer. »Sprechen Sie Deutsch oder Englisch?«
    Die Lehrerin sah ihn ängstlich an. »Ein bisschen Deutsch.«
    »Könnte es sein, dass einer ihrer Schüler gerade im Wald eine Videokassette gefunden hat? Sie war in eine Plastiktüte gewickelt und in einem Felsspalt versteckt.« Die Lehrerin sah ihn verwundert an und sagte in barschem Tonfall etwas zu ihren Schülern. Christian beobachtete die Reaktion der Kinder. Sie wechselten betretene Blicke. Die Lehrerin redete immer strenger auf sie ein.
    Hinter den Gebäuden entlang der Wiese hörte man jetzt das Geräusch eines Autos. Christian drehte sich um und sah zwischen den Häusern einen Mercedes näher kommen. Es war dasselbe Auto, das in der Nähe der Telefonzelle gestanden hatte. Christian wandte der Straße den Rücken zu. »Schnell«, sagte er zur Lehrerin. »Wir kontrollieren die Rucksäcke.«
    Er blickte kurz zur Straße. Der Mercedes stoppte vor einem der Häuser. Als Christian wieder auf die Schüler schaute, hielt ein kleiner, dunkelhaariger Junge schon mit ängstlichem Gesichtsausdruck der Lehrerin die Plastiktüte hin. Christian schnappte sich die Tüte und rannte auf der Stelle los. Im Laufen blickte er über die Schulter zurück. Jemand half einer alten Frau, aus dem Mercedes zu steigen. Der Wagen hatte nichts mit den Verfolgern zu tun.
    Christian hörte auf zu rennen. Während er weiterging, bereute er sein hysterisches Verhalten. Damit erregte er viel zu viel Aufsehen.

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