Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
Vom Netzwerk:
Vernunft und Gefühl, Liebe und Betrug, Verzeihung und Eifersucht lagen im Widerstreit miteinander. Wäre Tina noch am Leben, wäre die Situation eine andere. Es war leichter, einer Toten zu verzeihen als einer Lebenden.
    Oder doch nicht? Umso sonderbarer die Züge waren, die Tina offenbarte, umso dringlicher hätte Christian sich gewünscht, darüber zu sprechen. Mit der lebenden Tina wäre das möglich gewesen, aber nun war alles in dem Moment eingerastet, der Tinas Tod unmittelbar vorausgegangen war. Christian war sich immer sicherer, dass Sara mehr über Tina wusste, als sie zugab.
    »Ich muss telefonieren«, flüsterte er außer Atem und ging auf das zweistöckige, von Efeu überwucherte Wohnhaus zu.
    »Du bist verrückt!«
    Christian blieb vor dem Fenster neben der Hintertür stehen, schirmte die Augen mit der Hand ab und spähte hinein. Der gemütlich eingerichtete Raum war leer. Auf einem Schreibtisch stapelten sich in Leder gebundene Bücher. An der Wand hing ein schwarzweißes Foto von Tito, am Regal war die alte jugoslawische Fahne mit dem roten Stern befestigt. Christian eilte an das Fenster nebenan. Auch in diesem Zimmer war niemand.
    Er blickte sich um und machte Sylvia ein beruhigendes Handzeichen. Ohne einen Moment zu zögern, hob er einen massiven Stein vom Boden auf und schlug damit ein Loch in die einfache Scheibe. Das Scheppern klang überraschend gedämpft. Christian griff durch das Loch nach dem Fensterhaken. Nachdem er ihn gelöst hatte, öffnete er das Fenster und stieg ächzend ein.
    »Wenn du etwas hörst oder siehst, pfeifst du«, flüsterte er Sylvia zu.
    »Ich kann nicht pfeifen.«
    »Dann sing eben.«
    Er hielt den Atem an und lauschte auf Schritte oder andere Geräusche im ersten Stock. Nichts. Nur das Rauschen des Blutes in den eigenen Ohren. Das Haus war leer. Wo stand das Telefon?
    Der alte Herr mit den feinen Runzeln um die Augen erhob sich im ersten Stock erschrocken von seinem Ruhesessel und setzte seine Brille auf. In Pantoffeln ging er ans Fenster und schaute vorsichtig nach unten. Im Garten stand eine Frau. Sie trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und hielt immer wieder nach den Fenstern im Erdgeschoss Ausschau. Sie war eindeutig nicht von hier.
    Im Erdgeschoss hörte man ein Poltern.
    Der alte Herr strich sich die herabhängenden grauen Haare hinters Ohr, zog die unterste Schublade der Kommode auf und nahm die Mauser-Pistole heraus, die ihm als Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg geblieben war. Mit geübten Bewegungen entsicherten seine dünnen Finger die Waffe.
    Christian schlich im Erdgeschoss über den Teppich und suchte nach dem Telefon. Er fand es im Flur, neben der Treppe, die in den ersten Stock führte. Er ging einige Stufen nach oben, bis er die Zimmer sehen konnte, in denen sich nichts regte, dann ging er zurück zum Telefon. Hastig drehte er die altmodische Scheibe und wählte Saras französische Handynummer an.
    »Ich bin's«, flüsterte er erleichtert, als Sara sich meldete. Er stand mit dem Rücken zur Treppe und bemerkte daher nicht die Lederpantoffeln, die leise von oben auf die Treppe traten.
    »Endlich . . .«
    »Hör mir genau zu. Tina ... Tina hat in der Maschine einen Mann geküsst...« »Er heißt Jacob Weinstaub.«
    Christians Überraschung verwandelte sich im Nu in Hass und Beklemmung. »Wer ist der Mann?« »Ich weiß über ihn nur, dass . . .«
    Leise ging der alte Herr in Christians Rücken die Treppe hinunter. Die schwere Pistole hielt er in der ausgestreckten Hand.
    »Wo bist du?«, fragte Sara besorgt. »Was ist passiert?«
    In dem Moment hörte Christian hinter sich zwei eisige Worte: »Hände hoch!« Er fuhr herum. Auf der Mitte der Treppe stand ein alter Mann mit einer Pistole in der Hand. Man sah, dass er nicht zum ersten Mal mit einer Waffe umging. »Sofort!« »Entschuldigung ...«, sagte Christian so arglos und höflich wie er konnte und ließ den Hörer sinken.
    »Wer sind Sie? Was machen Sie in meinem Haus?«
    »Das ist ein Notfall.«
    »Stopp!«, zischte der Mann. »Behalten Sie die Hände oben und stellen Sie sich an die Wand.«
    Christian gehorchte. Sein Blick war auf den Lauf der drohenden Waffe gerichtet. Der Alte trat ans Telefon, offenbar um die Polizei anzurufen.
    »Warten Sie«, sagte Christian und machte einen Schritt nach vorne.
    Ohne jedes Zögern drückte der Mann ab. Die Kugel schlug einen Meter neben Christian in der Wand ein. Unfassbar laut hallte der Schuss im Flur wider, und Christian war mit einem Satz auf der

Weitere Kostenlose Bücher