Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
die SiPo wird natürlich ihr Augenmerk auf Karam richten.«
»Ich habe versucht, Karri Vuorio zu erreichen, aber er meldet sich nicht.«
»Er sitzt in der Maschine nach Amman. Schick ihm eine SMS und bitte ihn, dich anzurufen.«
Johanna steckte das Handy wieder ein und aß weiter. Die Informationen aus Brüssel bestärkten sie in ihrem Misstrauen gegenüber Rafiq Karam. Ein netter, sympathischer Mann. Genau so hatten die Nachbarn auch die Täter der Bombenattentate von London beschrieben. Das galt überhaupt oft für Kriminelle – das tadellose Benehmen eines Menschen war keine Garantie für seine Unschuld, oft war eher das Gegenteil der Fall.
Auch der Ratte würde man nicht ansehen, was sie in den letzten Tagen drei Menschen angetan hatte. Trotzdem musste man vorsichtig sein mit seinen Vorurteilen.
Johanna aß die Pirogge auf. Es kam ihr absurd vor, dass ein Ort wie Pudasjärvi der Schnittpunkt der jüdischen, christlichen und islamischen Welt sein sollte.
Statt zur Polizeiwache zurückzukehren, machte sich Johanna auf den Weg zum Restaurant Oase . Ihr fiel der ziemlich neue Audi-Kombi auf, der vor dem Haus geparkt war.
Das Lokal war hübsch eingerichtet, aber es saß kein einziger Gast darin. Die Tischdecken waren gemangelt, Erikasträuße leuchteten so stark violett, als wären sie gerade erst im Wald gepflückt worden. Auf gebeizten Regalbrettern waren arabische Gegenstände drapiert: blinkende Kupfertöpfe, mit Mosaiken verzierte Dosen und eine große Wasserpfeife. Im Hintergrund lief leise finnische Popmusik.
Johanna schmunzelte bei dem Gedanken an eine libanesische Oase inmitten einer von Stechmücken terrorisierten nordfinnischen Wald- und Moorlandschaft. Sie überflog die Speisekarte, die mit Kreide auf eine schwarze Tafel geschrieben worden war. Was wohl die an Rentiergeschnetzeltes gewöhnte örtliche Bevölkerung von Speisen wie Hummus, Kibbeh und Falafel hielt? Andererseits war die Pizzaauswahl beeindruckend.
Aus der Küche kam eine hoch gewachsene blonde Frau. Sie sah etwas grobschlächtig aus, machte aber zugleich einen gepflegten, durchaus wohlhabenden und fleißigen Eindruck. Eine typische Unternehmerin. Es handelte sich offenbar um Tuija Karam, Rafiqs Frau.
Johanna stellte sich vor und sagte: »Ich würde gern mit Rafiq Karam sprechen.«
»Ach ja? Worüber denn?«
»Über Freitagabend. Ist er da?«
»Ich war am Freitag auch hier. Was wollen Sie wissen?«
»Ist Rafiq in der Küche?«, fragte Johanna und ging auf die Tür zu.
Tuija stellte sich ihr ruhig und entschlossen in den Weg. »Moment. Ich hole ihn. Setzen Sie sich bitte.«
Sie verschwand in der Küche. Dann geschah nichts. Johanna wollte schon wieder aufstehen und nachsehen, als ein Araber hereingeeilt kam. Johanna musterte den Mann, der die Opfer zuletzt lebend gesehen hatte – von Saara Vuorio abgesehen.
Rafiq Karam setzte sich ihr gegenüber. Der kleine, fast schmächtige Libanese trug ein blütenweißes Hemd und ein schwarzes Sakko mit modisch geschnittenem Revers. Die obersten Hemdknöpfe waren offen und zeigten Brusthaare und eine Goldkette. An den Fingern glänzten Ringe, und seine Uhr schien direkt aus einem Modejournal zu stammen. Dennoch hatte Rafiq nichts oberflächlich Schmeichlerisches an sich, sondern strahlte echte Wärme aus. Von außen betrachtet brachte man das Ehepaar nicht unbedingt auf den ersten Blick zusammen. Johanna spürte einen leichten Stich von Neid, obwohl Rafiq überhaupt nicht ihrem Männergeschmack entsprach.
Sie erkundigte sich nach den Ereignissen am Freitagabend, und Rafiq antwortete zurückhaltend, aber freundlich. Er hatte in der Kaminstube die Sauna geheizt und den Frauen um sieben Uhr Pizza gebracht. Alle vier waren zuvor schon eingetroffen. Dann war Rafiq die zwei Kilometer zur Oase zurückgefahren und hatte, wie vereinbart, erst um elf wieder die Kaminstube aufgesucht. Da war Saara schon weg gewesen, und Erja und Anne-Kristiina wollten mit Lea in deren Auto aufbrechen. Rafiq hatte das Geschirr in die Maschine gestellt, die Türen abgeschlossen und war wieder ins Restaurant gefahren.
Er sprach mit trauriger, Anteil nehmender Stimme. Der ruhige Blick seiner dunklen Augen verstärkte diesen Eindruck noch. Johanna wunderte sich nicht, warum sich Frauen in Rafiqs Gesellschaft wohl fühlten.
Am anderen Ende des Raums deckte Tuija die Tische. Johanna registrierte aber, dass die Frau bei aller Geschäftigkeit ihren Mann im Auge behielt. Sie bewachte ihn wie eine Mutter ihren
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