Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
Zahlungsanweisung gingen hundert Millionen Euro auf das Konto einer Firma, die auf den Britischen Jungferninseln registriert war und Vasas Gruppe gehörte. Nachdem er das Fax geschickt hatte, rief Vincent bei der Bank an, um sich die erfolgreiche Transaktion bestätigen zu lassen.
Marek gab sich Mühe, seinen Triumph zu verbergen.
»Es war mir ein Vergnügen, mit dir ins Geschäft zu kommen«, sagte Vincent augenscheinlich zufrieden.
»Ganz meinerseits.« Marek stieg aus dem Wagen. Er versuchte, es ruhig zu tun, um wenigstens einigermaßen das Gesicht zu wahren. »Wir melden uns.«
Marek hielt vor der Tür inne. Im Nu war er erneut von Misstrauen überwältigt. »Warum?«
Vincent lachte kurz auf. »Im Hinblick auf weitere Geschäfte natürlich.« »Die wird es kaum geben ...«
»Niemand macht mit mir nur ein Geschäft. Wenn ich dich als Geschäftspartner akzeptiert habe, setzen wir die Zusammenarbeit fort.« »Ich verstehe«, stotterte Marek und schloss die Tür.
Der Phaeton setzte sich langsam in Bewegung, bis er plötzlich wieder anhielt. Vincent ließ das Fenster einen Spaltbreit herunter und sagte beinahe heiter: »Den Spaten kannst du behalten.«
Das Fenster schloss sich, und Vincent verschwand mit seiner Eskorte im Morgendunst. Marek blieb allein auf dem Kolchosengelände zurück und starrte auf den Spaten.
Der Airbus der Finnair aus Helsinki stand noch immer am äußersten Rand des Rollfeldes vor dem Terminal des Flughafens Minsk 2, gesondert von den anderen Maschinen. Gepanzerte Fahrzeuge einer KGBSondereinheit hatten die Maschine weiträumig eingekreist, aber die Männer versuchten nicht, näher heranzukommen.
In der Passagierkabine des Flugzeugs lag beklemmende, stark aufgeladene Erwartung. Die Anspannung wurde immer quälender, die Luft in der Kabine zunehmend stickig. Einige Passagiere versuchten verzweifelt zu schlafen, aber die Angst hielt die meisten wach. Johanna versuchte eine Haltung zu finden, in der ihre Hände in den Handschellen nicht taub wurden. Die kleine Schnittwunde an ihrem Hals pochte immer noch. Hier und da hörte sie unterdrücktes Schluchzen. Einige Geiseln standen kurz vor dem Zusammenbruch. Der Abgeordnete Ala-Turpeinen saß unnatürlich aufrecht auf seinem Platz und beobachtete wachsam, was in der Kabine vor sich ging. Johanna hatte bislang geglaubt, das Benehmen des Mannes habe mit Alkohol zu tun, aber er schien auch bei nachlassender Betrunkenheit mehr Energie zu haben als alle anderen zusammen. Es hatte den Anschein, als wolle er jeden Moment aufstehen. Plante er, zur Tür zu rennen oder sich gar auf einen der Geiselnehmer zu stürzen?
Auf der anderen Seite des Ganges saß der Justizminister. Er versuchte Ala-Turpeinen mit Blicken zu beruhigen. Würde dieser eine abrupte Bewegung machen, konnte einer der Entführer, deren Nerven aufs Äußerste gespannt waren, den Abzug drücken. Und bei Maschinengewehrfeuer wäre die Kabine im Nu voller Leichen. Aus dem vorderen Teil hörte man das Piepsen einer eingehenden SMS. Johanna richtete sich auf, um besser sehen zu können. Vasa saß schon lange in Gedanken versunken neben der zugedeckten Leiche seines Vaters, aber jetzt nahm er das Handy aus der Tasche. Zwei andere Geiselnehmer traten mit fragendem Gesichtsausdruck zu ihm. Vasa tippte auf seinem Handy und sagte etwas zu seinen Komplizen. Auf einmal kam Leben in die Männer. Das quälende Warten war offensichtlich zu Ende, und die Stimmung wandelte sich. Vasa stand auf, und Johanna konnte sein Gesicht sehen. Es spiegelte vor allem Trauer wider, aber es lag auch etwas von Erleichterung und Klarheit darin.
Die Geiselnehmer hatten eine gute Nachricht erhalten, vermutete Johanna. Aber war es auch eine gute Nachricht für die Geiseln? Auf jeden Fall würde etwas passieren. Die Geiselnehmer überprüften ihre Ausrüstung, sie waren sichtlich im Begriff, sich in Bewegung zu setzen. Doch wie und wohin?
Der Stimmungswandel spiegelte sich auch in den Geiseln wider. Alle richteten sich auf ihren Plätzen auf und wollten in Erfahrung bringen, was geschah.
Vasa ging zur Tür des Cockpits und rief den Piloten so laut zu, dass man es auch in der Passagierkabine hören konnte: »Ihr bittet jetzt um eine Gangway und um einen Kleinbus. Falls wir nicht beides bekommen, töten wir den russischen Botschafter.«
Johanna wunderte sich über das Kommando. Ein Kleinbus? Für die Geiselnehmer? Vasa bildete sich doch wohl nicht ernsthaft ein, dass die weißrussischen Verantwortlichen einfach so
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