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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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nicht denken, denn sonst wäre sie zu nichts mehr fähig. Sie musste sich auf das konzentrieren, was um sie herum geschah. Vasas Verhalten war Besorgnis erregend. Er war mit nacktem Oberkörper und nassen Haaren aus der Toilette gekommen. Und dann hatte er nur dagestanden und die Geiseln gemustert und sich schließlich neben die Leiche seines Vaters gesetzt. Seitdem saß er still dort, und das Verhalten der übrigen Entführer wurde immer unberechenbarer. Die wenigsten Geiseln hatten schlafen können, weshalb die Müdigkeit und die Angst fast mit Händen zu greifen war. Sogar Ala-Turpeinen hatte sein Spektakel eingestellt.
    Das unruhige Hin und Her der Geiselnehmer zwischen Kabine und Cockpit hatte weiter zugenommen. Jasmin war zu Vasa gegangen, um mit ihm zu sprechen, danach hatte sie mit einem anderen Serben geredet. Inzwischen hatte der Kapitän die Anweisung zum Anschnallen erteilt, und zwei Entführer hielten sich im Cockpit auf. Sie landeten - aber wo?
    Johanna spähte unter der halb geschlossenen Sonnenblende hindurch aus dem Fenster. Die Maschine kam aus der Wolkenschicht heraus, am Boden waren Lichter zu erkennen. Aus ihnen ließ sich nichts schließen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach befanden sie sich noch immer in Russland.
    Einer der Entführer ging über den Gang und sah Johanna im Vorübergehen an. Es war derselbe Mann, der ihr das Messer an die Kehle gehalten hatte. Sein Blick ließ Johanna fast zusammenfahren vor Angst. Was würde ihr Schicksal nach der Landung sein? Gaben sich die Entführer mit dem einen Rachemord zufrieden? Vasa hatte nicht zugelassen, dass man sie nach dem Tod des Obersts umbrachte, Vasa würde ihr demnach auch künftig nichts antun.
    Bei den anderen war sich Johanna da nicht so sicher. Sie waren müde und frustriert, und falls etwas schiefgehen sollte, würden sie vielleicht ihre Wut an ihr auslassen, an der Verräterin aus dem Flugzeug, die den Tod des serbischen Obersts verursacht hatte. Besonders aufpassen musste sie bei dem, der sie gerade angestarrt hatte. Infolge seines Schlags war ihre Waffe losgegangen. Es konnte durchaus sein, dass seine Komplizen ihm später vorwarfen, am Tod des Obersts mit schuld zu sein. Diese drohende Beschuldigung in Verbindung mit seinem eigenen Schuldgefühl konnte den Mann unberechenbar und rachsüchtig werden lassen.
    Er setzte sich, schnallte sich an und unterhielt sich leise mit einem anderen Serben, wobei er immer wieder zu Johanna herüberschaute. Sie sprachen über sie, eindeutig, und das war keine angenehme Feststellung. Die Maschine setzte weich auf der Landebahn auf und bremste stark ab. Nachdem sie eine Weile geradeaus gerollt war, bog die Maschine von der Landebahn ab.
    Johanna senkte den Kopf ein wenig, um das Terminal sehen zu können, das jetzt zum Vorschein kam.
    Der Flughafen war groß, und es gab zahlreiche Gebäude. Auf dem Dach des größten Gebäudes stand etwas in kyrillischen Buchstaben. Sie waren also tatsächlich noch immer in Russland -aber wo genau?
    »Wo sind wir?«, zischte Johanna dem wenige Reihen vor ihr sitzenden Innenminister zu, von dem sie wusste, dass er leidlich Russisch sprach. Der Mann hörte sie nicht oder wollte sie nicht hören. Johanna wiederholte ihre Frage.
    »In Minsk«, antwortete eine Frau, die Johanna nicht kannte, zwei Reihen vor ihr von der anderen Seite des Ganges.
    Diese unangenehme Überraschung ließ Johanna innerlich fluchen. Selbst Russland wäre besser gewesen als Weißrussland, die letzte Diktatur Europas, in der die Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. Andersdenkende wurden mit harter Hand zum Schweigen gebracht, Demonstrationen waren praktisch verboten, und die Geheimpolizei war immer noch voll aktiv, sie hatte sogar den alten Namen beibehalten: KGB. Dieser KGB griff heute mindestens ebenso hart durch wie zu den Zeiten, als Weißrussland noch zur Sowjetunion gehört hatte. Aus der Sicht der Geiseln war Minsk vermutlich das gefährlichste Flugziel in ganz Europa.
    Aber war es das nicht auch für die Geiselnehmer? Warum hatten sie sich unter allen Städten ausgerechnet Minsk ausgesucht? Die Wahl des Flugziels musste ihre eigene, schreckliche Logik haben, die sich Johanna nur noch nicht erschlossen hatte.
    Die Maschine blieb mitten auf dem Rollfeld stehen, weit von den Gebäuden entfernt. Johanna spähte hinaus und erschrak. Dunkelblaue, kastenförmige, offenbar gepanzerte Fahrzeuge näherten sich. Auch die anderen Geiseln hatten die Autos bemerkt, und das aufgeregte

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