Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
jemanden aus der Maschine ließen - am allerwenigsten die Entführer.
Die Geiseln schauten unruhig aus den Fenstern, und das aufgeregte Stimmengewirr wurde von Sekunde zu Sekunde lauter. Unter der Angst schimmerte jetzt aber auch erste Zuversicht durch. Einige wechselten die Plätze, um an ein Fenster zu kommen, und die Geiselnehmer hinderten sie nicht daran. Die Leute begriffen nicht, dass sie sich gerade jetzt in einer besonders gefährlichen Phase befanden. Johanna beobachtete die Geschehnisse mit pochendem Herzen.
»Heinonen«, flüsterte sie ihrem drei Reihen weiter sitzenden Exmann zu und bedeutete ihm, zu ihr zu kommen.
»In dem Stoffbeutel unter Sitz 17 B befindet sich ein fingernagelgroßes Gerät aus Kunststoff«, flüsterte sie schnell. »Das ist ein Sender mit Mikrofon. Nimm das Ding, sieh zu, dass du irgendwie in die Nähe eines Geiselnehmers kommst, und steck ihm den Sender unbemerkt irgendwo in die Ausrüstung. Du kannst dich zum Beispiel auf dem Gang an einem von ihnen vorbeidrängeln. Mach schnell!«
Heinonen kehrte ohne Fragen zu stellen an seinen Platz zurück.
Johanna sah nicht zu, was er tat, sondern schaute aus dem Fenster. Vom Terminal her näherte sich ein Fahrzeug. Es zog eine Gangway - und dahinter folgte ein blassblauer Kleinbus.
Auch in die Spezialeinheit war Bewegung gekommen. Hinter den Fahrzeugen, die den Airbus umzingelten, sah man bewaffnete Männer mit Helmen, die sich offensichtlich zum Einsatz bereit machten. Der Kleinbus fuhr in einem Bogen vor die Maschine, und die Gangway wurde an die Tür geschoben.
Johanna war bestürzt. Panik stieg in ihr auf. Die Serben rückten ihre Sturmhauben und ihre Ausrüstung zurecht. Einer von ihnen ging langsam den Gang entlang und ließ den Blick über die Geiseln schweifen, die allesamt versuchten, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Nur Heinonen ging dem Geiselnehmer entgegen. Johanna hielt den Atem an. Die Männer trafen in dem schmalen Gang aufeinander, und keiner von beiden schien ausweichen zu wollen, bis Heinonen schließlich ein Stück zwischen zwei Sitze trat und den Serben vorbeiließ.
Der Geiselnehmer schnauzte Heinonen trotzdem an. Dieser machte eine Kopfbewegung in Richtung Toilette. Dann gingen beide Männer weiter. Hatte Heinonen Erfolg gehabt?
Drei Reihen weiter blieb der Geiselnehmer stehen.
»Du«, sagte er und deutete auf den russischen Botschafter, der zusammenzuckte.
»Und du«, sagte der Serbe, wobei er auf den Präsidenten Finnlands zeigte. »Aufstehen!«
Die beiden Geiseln erhoben sich unsicher. Johanna fluchte innerlich. Immerhin ließen sie die Frau des Präsidenten unbehelligt und die Gattin des Botschafters ebenso.
Es schien, als wollten die Serben einen Teil der Geiseln mitnehmen. Es ging also weiter, das Ganze zog sich hin, und zwar in Weißrussland, in dem, was die internationale Zusammenarbeit betraf, denkbar ungünstigsten Land überhaupt. Johanna konnte sich schwer vorstellen, dass die Polizeiführung in Minsk Anweisungen entgegennahm, die nicht aus Lukaschenkos Palast stammten. Kreidebleich und ängstlich traten der finnische Präsident und der russische Botschafter auf den Gang. »An die Tür!«, befahl Vasa den beiden.
Johanna war verzweifelt, weil sie nicht den geringsten Einfluss auf den Gang der Dinge nehmen konnte. Die Sondereinheit würde kaum zulassen, dass die Geiselnehmer das Flughafengelände verließen, und ein Feuergefecht bedeutete Tote.
Heinonen kam von der Toilette, und Johanna fing seinen Blick auf. Er nickte kaum merklich.
Der Sender steckte also bei einem Geiselnehmer in der Ausrüstung. Die Frage war, wie lange er dort bleiben würde.
Der Präsident und der Botschafter standen im vorderen Teil der Maschine an der Tür. Jeder von ihnen hatte einen bewaffneten Geiselnehmer hinter sich. Dahinter nahmen zwei weitere Serben Aufstellung - und Jasmin Ranta.
Sie wirkte unfassbar ruhig und selbstsicher, man sah ihr nicht an, ob die Situation sie belastete.
Der Geiselnehmer, der zuvorderst an der Tür stand, machte sie auf, und sogleich strömte frische, kühle Luft herein. Der zuhinterst stehende Serbe drehte sich zu Johanna um. Es war der Mann, der zuvor gedroht hatte, sie umzubringen. Jetzt hob er die Pistole. Ohne sich zu rühren, starrte Johanna in den Lauf.
Vasa sagte etwas auf Serbisch zu dem Mann.
Nichts geschah.
Vasas Stimme wurde barscher.
Johanna merkte, wie ihre Beine zitterten, aber trotzdem wich sie dem Blick des Mannes nicht aus.
»Bumm«, brüllte der
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