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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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denn die Stimme des Präsidenten hatte einen strengeren Ton angenommen.
    »Es ist klar, dass nach der gewaltsamen Attacke die Haltung der Finnen gegenüber einem Nato-Beitritt so ablehnend wie nie zuvor geworden ist. Das ist verständlich, denn die Emotionen sind in Aufruhr geraten. Aber das Thema Nato ist keine Frage der Emotion. Die Zukunft des finnischen Staates und des finnischen Volkes ist, im Horizont von Jahrzehnten betrachtet, alles andere als eine Frage der Emotion. Auf den ersten Blick scheinen
    uns die Ereignisse des 6. Dezember zu ermahnen, uns von jedem Bündnis fernzuhalten. Aber diese Auffassung ist falsch.« Die Worte kamen deutlich und mit Nachdruck. Timo schaute den aufrecht sitzenden, gerade in die Kamera blickenden Koskivuo überrascht an. In der Stimme des Präsidenten lag keine Spur mehr von dem süßlichen, die Welt umarmenden Tonfall, der seine Worte gerade noch gefärbt hatte.
    »Eine Staatsführung, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist, muss bisweilen Entscheidungen treffen, die der Meinung der Mehrheit in der Bevölkerung widersprechen.«
    Pause.
    »Jetzt befinden wir uns in einer solchen Lage.«
    Timo sah Johanna an, deren Augen sich zu schmalen Streifen verengt hatten. In der Cafeteria versammelten sich immer mehr Leute. Die Miene des Präsidenten war gelassen und ruhig, die Stimme fest: »Wir Finnen haben es lange und inständig vermieden, die Dinge bei ihrem wahren Namen zu nennen. Das haben uns Geschichte und Geografie gelehrt. Ich für meinen Teil möchte trotzdem offen sagen: Finnland bietet der Nato über verschiedene
    Freundschaftsabkommen seine Hilfe an, aber jetzt ist es an der Zeit, auch offiziell vertraglich festzulegen, dass Finnland Hilfe bekommt, wenn es sie braucht. Dies ist einzig und allein bei NatoMitgliedern möglich, auf der Grundlage von Artikel 5 des NatoVertrags. Ich habe darum die Absicht, bei der nächsten Kabinettssitzung vorzuschlagen, die Aufnahme Finnlands in die Nato zu beantragen.«
    Ein Raunen ging durch die Menge, die sich inzwischen in der Cafeteria drängte.
    »Die Feier unseres Unabhängigkeitstages wurde in diesem Jahr auf die denkbar unschönste Weise unterbrochen. Aber unsere Unabhängigkeit war und ist nicht bedroht. Meine Pflicht ist es, sicherzustellen, dass sie auch in Zukunft nicht bedroht sein wird, auch wenn es in der Welt um uns herum immer stürmischer zugeht. Meine Pflicht ist es, sicherzustellen, dass auch un
    sere Kinder, unsere Kindeskinder und deren Kinder am 6. Dezember die weiße Fahne mit dem blauen Kreuz hissen können.« Der Präsident machte erneut eine Pause und sah fest in die Kamera. Der Bildschirm wurde kurz dunkel, aber dann kam das Bild sogleich wieder. Jetzt sah man allerdings nicht mehr den Präsidenten, sondern das graue, todernste Gesicht der Premierministerin.
    »Ich kapiere überhaupt nichts mehr«, flüsterte Timo Johanna zu. »Gleich wirst du es kapieren«, erwiderte Johanna mit versteinertem Gesicht.
    »Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger«, sagte die Premierministerin. Ihre Stimme war belegt und von Emotionen aufgeladen.
    »Sie haben gerade die aufgezeichnete Rede des Präsidenten gesehen. Es war sein Wille, sie unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Minsk aufzunehmen. Er wollte auch, dass sie Ihnen gezeigt wird, obgleich . . . obgleich . . .«
    Die Stimme der Premierministerin versagte. Sie musste Atem holen. »Vor zwei Stunden wurde ein Attentat auf den Staatspräsidenten verübt. Kurz darauf erlag er trotz aller ärztlicher Bemühungen in seiner Wohnung den Folgen des Mordanschlags.«
    Timo war nahe daran, die Kaffeetasse durch den Druck seiner Hand zu zerbrechen. In der Aufregung, die im Raum ausgebrochen war, gingen die weiteren Worte der Premierministerin unter.
    Johanna nahm Timos Hand. »Ich konnte es dir nicht sagen. Wir hatten die unbedingte Anweisung, bis zur Ausstrahlung darüber zu schweigen ...«
    Timo riss seine Hand los. »Du konntest es mir nicht sagen?«, fragte er voller Zorn. »Ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass auch ich in Gefahr sein könnte? Und du?«
    »Vielleicht irgendwo da draußen, aber sicherlich nicht im Hauptquartier der KRP.«
    Johanna und Timo drängten sich an den aufgeregten Menschen vorbei auf den leeren Gang. »Wie ist es passiert?«
    »Ein Scharfschütze. Aus knapp vierhundert Metern Entfernung. Koskivuo ging über den Vorplatz seiner Dienstvilla zu seinem Wagen. Der Schütze versuchte zu fliehen, aber der Hundestreife, die vor Ort war, kamen zwei weitere Streifen zu

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