Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
es zu den zentralen strategischen Zielen Moskaus, die Nato von der Nordwestgrenze Russlands fernzuhalten. In letzter Zeit hat es in Finnland immer deutlichere Anzeichen dafür gegeben, dass das Land für eine Nato-Mitgliedschaft reif werden könnte. Aber nach dieser Attacke werden die Finnen diese Frage mit neuer Energie angehen und einen Beitritt zum Verteidigungsbündnis ablehnen.«
»Das glaube ich nicht. Das ist ein völlig absurder Gedanke«, schnaubte der Präsident schwach.
Timo sprach auf Englisch weiter, damit auch Vasa ihn verstehen konnte. »An dem Projekt war zumindest der FSB beteiligt, und über ihn musste auch die politische Führung in Russland im Bilde gewesen sein. Wusste der Kreml davon?«
Für einen Moment sah es so aus, als wollte Vasa nicht antworten. Johanna setzte den Blinker und bog auf die Straße, die zur Landstraße nach Mahiljou führte und auf der nun etwas Verkehr herrschte. »Natürlich wusste der Kreml Bescheid«, sagte Vasa schließlich. »Der FSB hätte bei so etwas nicht ohne den Segen von Präsident Rozanow mitgemacht. Zlatan könnte mehr zu dem Thema sagen, er hatte sich um die Kontakte nach Russland gekümmert ... Dieser Verräter.« In Vasas Stimme lag mehr Enttäuschung als Hass. Mit den dunklen Ringen um die Augen sah er extrem müde aus.
»Sie glauben, was diese Leute sagen?«, wollte der Präsident von Timo wissen. »Es ist in ihrem Interesse, die Verantwortung auf andere abzuwälzen ...«
»Sie haben darüber geredet, ohne zu wissen, dass ich zuhöre«, unterbrach Timo schroff. Die Ungläubigkeit des Präsidenten enttäuschte ihn, auch wenn sie in gewisser Weise verständlich war, denn der neue russische Präsident hatte wie seine Vorgänger die Freundschaft zu Finnland beschworen. Aber was wusste man tatsächlich über Rozanow und seine Ziele? Auf jeden Fall strebte er wie sein starker Vorgänger danach, mit Hilfe von Energiemilliarden Russland den Status einer Großmacht zurückzugeben.
»Im Kreml war man sich bewusst, dass der FSB den Anschlag der Serben auf die Residenz unterstützt«, fuhr Timo fort. »Aber man hat sicher nicht damit gerechnet, dass einer oder mehrere FSB-Mitarbeiter der gigantischen Geldsumme nicht widerstehen konnten. Diese Mitarbeiter wollten die Serben zuerst berauben und anschließend ermorden. Jeden Einzelnen.«
Plötzlich bewegte sich Vasa auf seinem Platz. Timo drückte ihm sofort von hinten die Waffe in die Seite. »Bleib sitzen!«
Mit einem traurigen Lächeln sah Vasa sich zu Timo um. »Ganz ruhig, ich laufe nicht weg. Aber ich habe eine Bitte. Ich möchte meine Strafe in der Zelle absitzen, in der mein Vater war.«
Timos Blick glitt von Vasa zu dem Auto, das ihnen mit irrsinnigem Tempo entgegenkam. Johanna wich zur Seite aus, als der schwarze Mercedes-Geländewagen auf der schmalen Straße an ihnen vorbeibrauste. Etwas an dem Fahrzeug mit den verdunkelten Scheiben ließ Timo unruhig werden.
Auf einmal lachte Vasa befreit auf. »Haben Sie gehört? In genau derselben Zelle.«
Timo sah, wie Johanna über den Rückspiegel zu der Kurve zurückblickte, hinter der das Fahrzeug verschwunden war. Im selben Moment kamen sie aus dem Wald heraus und fuhren zwischen weitläufigen Äckern hindurch.
»Gib Gas«, empfahl Timo, und Johanna erhöhte die Geschwindigkeit. Timo blickte sich um: Der Geländewagen hatte gewendet und tauchte jetzt hinter ihnen auf.
»Er ist hinter uns«, sagte Timo zu Johanna. »Konzentrier dich aufs Fahren. Wir versuchen, den Flughafen zu erreichen, egal, was kommt.« Mit seinem wahnsinnigen Tempo holte sie der Wagen bald ein. »Wer ist das?«, wollte Timo von Vasa wissen. »Keine Ahnung.«
Timo nahm die Maschinenpistole aus dem Fußraum. Wer immer die Leute hinter ihnen auch sein mochten, sie würden gleich Grund haben, sich Sorgen zu machen.
Die Straße tauchte wieder in ein Waldstück ein. Der Geländewagen hing ihnen unmittelbar an der Stoßstange.
»Kopf runter!«, befahl Timo dem Präsidenten.
Im selben Augenblick wurde von dem Geländewagen aus geschossen. Das Heckfenster zersplitterte, und das Auto wurde heftig nach links geschleudert. Timo duckte sich und schoss im Reihenfeuer auf die Fenster und Reifen des Geländewagens. Das hielt die Gegner für die entscheidenden Sekunden vom Feuern ab, die Johanna brauchte, um das Auto wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mindestens eine Kugel war durch den Fahrgastraum geflogen und hatte die Windschutzscheibe zerschlagen. Der Mercedes hinter ihnen kam heftig ins
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