Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
diesen beiden wollte Johanna sprechen. Jankovics Fluchtversuch interessierte nicht nur die Finnen, sondern auch die TERA und die EU. Wegen des Falles war in anderen Ländern die Bewachung von Kriegsverbrechern, die derzeit ihre Strafe verbüßten, ebenfalls intensiviert worden. Die Festnahme und Verurteilung von Kriegsverbrechern sowie die Vollstreckung ihrer Strafen - all das war eine große, sensible und teure Prozedur, bei der viele Faktoren berücksichtigt werden mussten. Der aktuelle Fluchtversuch war der erste, würde aber kaum der letzte bleiben, wenn die Schuldigen nicht gefasst würden. Womöglich handelte es sich um eine Operation, die weit über den Versuch eines Sohnes, seinen Vater zu befreien, hinausging. Es konnte sogar ein organisiertes Netzwerk serbischer Nationalisten dahinterstecken.
Einer der Täter lag im Kühlraum des rechtsmedizinischen Instituts der Universität Helsinki, und je schneller sein Komplize für die Entführung einer Unbeteiligten zur Verantwortung gezogen werden konnte, umso besser war es.
»Habt ihr irgendwelche Erkenntnisse darüber, was ein Berufssoldat wie Radovan Jankovic während der letzten zwei Jahre in Stockholm gemacht hat?«, wollte Johanna von Navarro wissen, nachdem sie den Aufzug betreten hatten.
»Vielleicht hat er unsere Stadt nur als Stützpunkt benutzt. Ich weiß es nicht. In Schweden wohnen eine Menge Serben, darunter viele auf dem Balkan abgehärtete Soldaten.«
»Wäre es im Licht der Statistiken und angesichts Radovans Hintergrund denkbar, dass er in kriminellen Kreisen verkehrte?«
»Das versuchen wir gerade zu klären. Ehemalige serbische Soldaten sind bei Überfällen auf Geldtransporter und anderen, noch brutaleren Aktionen dabei gewesen. Über Radovan besitzen wir jedoch keinerlei Informationen.«
»Auch nicht über den Rest der Familie?«, hakte Johanna nach. »Nur das, was ich schon per E-Mail geschickt habe. Bruder und Schwester leben hier.«
Der Aufzug hielt an. Sie traten in einen unendlich lang wirkenden, von billig aussehenden Design-Spots erleuchteten Gang, in dessen Fensternischen Grünpflanzen standen.
»Sind die Geschwister schon in irgendeiner Form vernommen worden?«, fragte Timo.
»Eigentlich ist das ja eure Angelegenheit«, richtete Navarro das Wort an Johanna. »Aber natürlich helfen wir, so gut es geht. Ihr solltet aber wissen, dass unsere Ressourcen ohnehin schon voll ausgeschöpft sind.« Das wussten tatsächlich alle. Das Ansehen der schwedischen Polizei hatte einen unschönen Kratzer abbekommen, weil es ihr lediglich gelungen war, einen Bruchteil der gewaltsamen Raubüberfälle, die das Land seit längerem erschütterten, aufzuklären.
Navarros Büro war ebenso nichtssagend wie die Büros von Polizeibeamten überall auf der Welt, obwohl der Mann fast verzweifelt versucht hatte, es mit ein paar Kunstdrucken, einem bestickten Sitzkissen und einem marokkanisch aussehenden Tablett mit handbemalten Tassen aufzufrischen.
»Hatte Radovan keine Familie?«, fragte Johanna, obwohl sie die Antwort schon kannte.
»Er war nicht verheiratet. Wollt ihr einen Tee ? Ich habe japanischen Gyokuro. Übers Internet bestellt.«
»Etwas Warmes würde vielleicht guttun«, sagte Johanna.
»Der ist vom Aroma her stärker, aber weniger bitter als der Sencha, den man normalerweise aus Japan kennt. Das Aroma entsteht dadurch, dass die Knospen der Teepflanze sehr früh gepflückt werden.«
Johanna nickte und brachte Navarro wieder aufs eigentliche Thema zurück: »Hast du die Adresse von Radovans Bruder und Schwester?« Er gab ihr ein Blatt Papier und verließ den Raum, um Wasser für den Tee zu holen.
Auch Timo warf einen Blick auf den Computerausdruck. Die beiden wohnten in unterschiedlichen Vororten Stockholms: Mila Jankovic in Enskede und Vasa in Farsta. Von beiden war nicht mehr bekannt als Geburtsdatum und -ort, Personenkennziffer, Passbild und Adresse. Außerdem fand sich die Nummer von Vasas Autokennzeichen bei der zentralen Zulassungsstelle.
Mila und Vasa waren beide in Pristina im Kosovo geboren.
»Ich schlage vor, gleichzeitig und ohne Vorwarnung mit den Jankovics zu reden, damit sie keine Vereinbarungen treffen können«, sagte Timo. »Ich könnte mit Vasa reden ... Oder solltest du das tun? Womöglich war er dein Verhandlungspartner in Riihimäki.«
»Die Männerstimme dort war durch einen Verzerrer unidentifizierbar gemacht, insofern spielt es keine Rolle, wer ihn befragt. Ich glaube aber, dass ich als Frau mehr aus Mila
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