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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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sich das live im Fernsehen an. In welchem anderen Land gibt es so etwas noch?«
    »Ich fahre morgen nach Finnland. Um meinen Vater zu besuchen. Und mich um Radovans Überführung zu kümmern. Wir wollen ihn in serbischer Erde begraben.«
    »Morgen? Ich dachte, ihr plant für Eskilstuna«, sagte Jasmin vorsichtig. »Ich habe mit den Jungs darüber gesprochen. Für die Beerdigung brauche ich auch einige Tage.«
    »Du kannst das Projekt jetzt nicht einfach liegen lassen. Alle haben dafür wahnsinnig viel gearbeitet.«
    Vasa nahm einen Schluck Tee. Jasmins wenige Sätze gingen ihm hartnäckig durch den Kopf. Sie hatten etwas Neues zum Keimen gebracht, etwas Frappierendes.
    Er spielte mit dem Löffel wie mit einem Amulett und sah Jasmin in die Augen, bis seine Finger plötzlich erstarrten. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
    »Was guckst du mich so an?«, lachte Jasmin gezwungen. »Du siehst aus, als ...«
    »Erzähl mir mehr über das Fest am Unabhängigkeitstag, das euer Präsident organisiert.«
    Eine Stunde später saß Vasa in seiner Wohnung am Computer. Er hatte seit Tagen nicht gelächelt, aber jetzt ließ er zu, dass sich ein breites, befreites Schmunzeln auf seinem Gesicht ausbreitete.
    Seine gemietete Zweizimmerwohnung war vollgestopft: Möbel von Ikea, in den Regalen Fachbücher, die er am Leihschalter der Bibliothek vorbeigeschmuggelt und nicht zurückgegeben hatte, Ausgaben der serbischen Zeitung >Politika< und Material, das er für seine Examensarbeit brauchte. Sein bevorzugter Autor war Noam Chomsky, der unermüdlich die effektive Propagandakampagne und die Bombenangriffe der Nato im Kosovo kritisiert hatte. Die meisten KosovoSerben hielten die Anwesenheit der Nato mittlerweile für die beste Garantie, um ihren Status wahren zu können, aber Vasa dachte nicht so. Vasa bewegte den Cursor über den Bildschirm und ließ den Blick durch den Gelben Saal schweifen. Von dort ging er in den Gotischen Saal weiter. Die virtuelle Präsentation des Präsidentenpalais war mit finnischer Präzision realisiert worden. Die Bildauflösung war so gut, dass man durch Zoomen sogar kleinste Details herauspicken konnte. Finnland überraschte Vasa immer wieder aufs Neue. Ein Serbe, der einmal dort gelebt hatte, hatte ihn mehrfach zu überreden versucht, ebenfalls dort hinzuziehen. Kein Wunder. Man hatte in Finnland Verhältnisse geschaffen, die für Kriminelle fast ideal waren. Da das zu versteuernde Einkommen jedes Bürgers über die Listen des Finanzamts öffentlich zugänglich war, konnte man sich als Erstes eine wohlhabende Person aussuchen, von denen es seit den Kursgewinnen von Nokia mittlerweile Tausende gab. Die dazugehörige Adresse fand man im Internet, die Personenkennziffern waren auf allen möglichen Unterlagen im Altpapier zu sehen, und damit kam man praktisch an alles heran und überallhin. Alles war offen und vertrauensselig. Wenn man wollte, konnte man von der Kommunalverwaltung sogar Informationen über die Grundrisse von Privathäusern bekommen. Was konnte ein Krimineller mehr verlangen? Während er sich durch die Residenz des Präsidenten bewegte, machte sich Vasa Notizen. Er skizzierte einen Grundriss mit grober Raumaufteilung und zeichnete Fenster und Türen ein. Ein Aspekt brachte ihn auf den nächsten, und was anfangs eine größenwahnsinnige Schnapsidee war, nahm nach und nach die Gestalt eines konkreten, realisierbaren Plans an.
    Als Nächstes vertiefte sich Vasa in die Berichte über die Feier zum Unabhängigkeitstag, die er im Internet-Archiv der beiden wichtigsten Tageszeitungen >Hufvudstadsbladet< und >Helsingin Sanomat< fand. Er schrieb sich genau den Verlauf des Abends auf: Begrüßung jedes Gastes per Handschlag, Büffet, Tanz, er schrieb sich alles auf, was er fand. Dabei blieben, was den Ablauf betraf, noch viele Fragezeichen, auf die er später Antworten finden musste.
    Er ging allerlei Fotos durch und zeichnete in den Grundriss die Wege ein, die die Gäste nahmen, nachdem sie dem Präsidenten die Hand gegeben hatten. Alles war noch sehr unkonkret, und es gab an vielen Stellen Lücken, aber die Antwort auf die entscheidende Frage stand: Ja, es war möglich.
    Vasa klappte sein Notizbuch zu und starrte ins Leere. Als Nächstes würde die finnische Polizei über Geiseln verhandeln, über die zu verhandeln sie sich nicht leisten konnte.
14
    Timo betrachtete das Passbild, das er in der Hand hielt. Vasa Jankovic war ein sympathisch aussehender junger Mann. Dennoch musste Timo aus irgendeinem

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