Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
»Wollten wir uns heute nicht treffen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen? Torna, hast du gewusst, dass Slobo sein Gezappel draußen vor der Halle trainiert und damit deine ganze Firma blamiert?«
»Dann wollen wir mal«, sagte Torna in einem Ton, der signalisierte, dass er genug von dem Thema hatte. Er breitete einen Stadtplan von Eskilstuna auf dem Tisch aus und daneben eine Karte mit dem Straßennetz der ganzen Region Svealand.
»Vasa, beschreibe uns die Route des Autos und wie dein Plan aussieht!« Vasa schwieg einen Moment, weil er noch überlegte, wie er sein Anliegen möglichst vorsichtig zur Sprache bringen konnte.
»Der Plan sieht so aus ...« - er warf einen Blick auf die ungeduldigen Mienen der anderen -, »... dass wir dieses Ding nicht machen.« Ungläubige Verblüffung machte sich im Raum breit.
»Was faselt unser Magister da?« Tomas extrem aggressiver Gesichtsausdruck überraschte Vasa, obwohl er mit cholerischen Reaktionen gerechnet hatte. Aber Torna war normalerweise der Ruhigste und Besonnenste in der Gruppe und versuchte stets rational zu handeln. »Wenn wir schon ein großes Ding statt vieler kleiner machen wollen, warum machen wir dann nicht ein wirklich großes?«
»Eskilstuna ist groß genug«, stellte Torna fest.
»Eskilstuna ist ein Fliegenschiss. Ein gefährlicher Fliegenschiss außerdem. Die Sicherheitsleute sind schwerer bewaffnet, sie rechnen mit Überfällen. Im Transporter erwartet uns womöglich eine Sondereinheit der Polizei. Es ist denkbar, dass einer von uns ums Leben oder im Rollstuhl in den Knast kommt. Dann bleibt es beim Traum vom eigenen Weingut.«
»Scheißdreck«, schrie Torna beinahe. »Du hast gestern selbst gesagt, dass wir alle Chancen auf Erfolg haben. Falls unser Herr Magister Muffensausen hat, kommen wir auch ohne ihn klar. Auf einen mehr oder weniger kommt es hier nicht an.«
»Du sagst selbst immer, es kommt auf jeden an«, stellte Danilo Kaugummi kauend fest.
»Halt's Maul!«
»Lassen wir den Magister reden«, meinte Stanko mit wachsamem Blick in den dunklen Augen.
Mit Genugtuung registrierte Vasa Stankos Geste, obwohl er den Kerl sonst nicht sonderlich mochte. Stanko hatte sich schon als Teenager den übel beleumdeten paramilitärischen serbischen Truppen angeschlossen, und Vasa hatte Geschichten gehört, denen zufolge Stanko einer derjenigen war, die von Kirchtürmen auf unschuldige Zivilisten geschossen hatten. Auch auf Frauen und Kinder. Zu seiner äußeren Erscheinung zählten die typischen Kennzeichen des Machos aus dem Mittelmeerraum: dicke Goldkette an Handgelenk und Hals, drei große Ringe. Er hielt sich für einen Frauenhelden der schweren Sorte, dabei hatte er eine frühzeitig verwelkte schwedische Frau und drei Kinder zu Hause sitzen.
Vasa ließ den Blick über die Männer schweifen. »Wir machen ein Ding, bei dem tausendmal mehr Geld herausspringt. Ein Ding, mit dem wir die skandinavischen Weicheier blamieren und gleichzeitig der ganzen Welt zeigen können, wozu Serben imstande sind.«
Danilo seufzte. »Das mit dem Geld klingt gut, aber wenn die serbische Ehre mit reingezogen wird, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass die ganze Aktion dazu verurteilt ist, in den Arsch zu gehen.«
Die Haltung von Danilo, diesem Winzling, wurmte Vasa. Dieser unmoralische, rückgratlose Loser wohnte in Schweden, seit er vier Jahre alt war, und seine Welt bestand aus amerikanischen Actionfilmen und Ego-Shooter-Computerspielen.
»In diesem Fall wird nichts in den Arsch gehen. Jeder von uns wird so viel Geld bekommen, wie er nur will«, sagte Vasa mit Nachdruck. »Und eines ist sicher: Mit diesem Überfall rechnet niemand«, fügte er ernst hinzu. »Absolut niemand.«
16
Timo verzog das Gesicht vor Schmerzen. Seine Bauchmuskeln und sein Fuß, den er gegen die Backsteinwand des Gebäudes gegenüber stemmte, verlangten von ihm, sofort mit dem Klettern aufzuhören. Er spürte, wie seine Beine haltlos zu schlottern begannen. Bis zum Fenster waren es noch zwei Meter.
Drei Meter war Timo bereits mit dem Rücken zur Hallenwand nach oben geklettert. Die ersten zwei Meter waren überraschend leicht gegangen, aber danach war es schnell umso schwerer geworden. Timo hatte sein physisches Leistungsvermögen schwer überschätzt. Wurde er alt ? Er blickte erneut nach oben und musste einsehen, dass er es nicht schaffen würde.
Aufzugeben war mehr als ärgerlich, aber es gab keine Alternative. Zum Glück hatte er sich vorher versichert, dass unter ihm keine Eisenrohre
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