Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
später wieder kommen.
Der kurze Gedanke an die Musik ließ ihn endgültig begreifen, worauf er sich eingelassen hatte: Er hatte einen Weg gewählt, mit dem sich der Traum von einem Leben als Popstar wahrscheinlich niemals realisieren lassen würde. Er hatte den goldenen Käfig gewählt, aus dem man nicht davonfliegen konnte.
Doch schnell wich der Gedanke vor den Herausforderungen der konkreten Situation. Stanko kümmerte sich um die Seite des Haupteingangs zur Nördlichen Esplanade, Torna regierte im Staatssaal, und Zlatan trieb die Leute von den oberen Galerien in den ersten Stock. Sie mussten möglichst bald alle überflüssigen Personen, die die Situation nur unübersichtlich machten, aus dem Gebäude schaffen.
»Es wundert mich überhaupt nicht mehr, dass du immer schwarze Klamotten anhast«, rief Slobo zu Zlatan hinauf, der sich auf der Galerie des Atriums zeigte. Normalerweise hatte er Angst vor Zlatan, wie alle anderen auch, aber die gemeinsame Aktion brachte sie auf Augenhöhe. »In Schwarz fühlt man sich mächtig. Kein Wunder, dass die Kerle hier alle schwarze Fräcke tragen.«
»Du würdest nicht mal in Schwarz schick aussehen«, rief Zlatan zurück. »Und nimm endlich diese idiotische Sonnenbrille ab!«
Ein Blitzlicht ließ Slobo zusammenfahren. Der Fotograf, der es ausgelöst hatte, zog sich mindestens ebenso erschrocken zurück. Es waren jede Menge Medienvertreter anwesend. Was an sich gut war. Jedenfalls hatte Vasa das behauptet.
»Papa, komm jetzt her!«, rief Aaro immer drängender aus dem Wohnzimmer.
Timo stellte den letzten Teller in die Spülmaschine, legte eine Tab in das dafür vorgesehene Fach und schaltete die Maschine ein. Er nahm einen Schluck Rotwein, dann ging er mit dem Glas zu Aaro hinüber, der vor dem Computer saß.
»Was ist los?«, fragte Timo.
»Die Übertragung ist unterbrochen worden. Irgendein Durcheinander ist da ausgebrochen, und dann war alles schwarz.«
»Wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn das mit dem InternetFernsehen funktioniert hätte. Wahrscheinlich sehen zu viele Leute zu, weil alle ...«
»Nein«, fiel Aaro ihm energisch ins Wort. »Das ist es nicht. Dort ist irgendwas Komisches passiert, darum ist die Übertragung unterbrochen worden. Das ist kein technischer Fehler.«
Timo trat näher an Aaro heran und stellte das Weinglas auf den Tisch. »Was heißt irgendwas Komisches«
»Die Leute haben angefangen zu schreien. Und der Reporter hat ganz erschrocken geguckt. Dann hat die Kamera gewackelt, als würde der Kameramann rennen oder so. Ist aber auch kein Wunder, die Schüsse ...«
Timo rannte in den Flur. Das Tischchen, auf dem normalerweise sein Handy lag, war leer. Er tastete die Taschen seiner Jacke ab, aber vergebens.
»Wo ist mein Handy?«, rief er.
»Weiß ich nicht. Nimm das Festnetz«, sagte Aaro.
»Alle Nummern sind im Handy gespeichert. Komm her und hilf mir suchen!«
Während sie mit ihrem eigenen Wagen zum Polizeipräsidium in Pasila fuhr, sah Johanna überall in den Fenstern der Häuser die Kerzen brennen. Die Stadt wirkte wie ein einziges friedliches Zuhause. An der Kreuzung von Aleksis Kiven katu und Sturenkatu klingelte ihr Handy. Sie meldete sich über das Mikrofon ihrer Freisprechanlage. Der Anrufer war derselbe Dienst habende Polizist, mit dem sie kurz zuvor bereits gesprochen hatte.
»Jetzt ist die Hölle los«, sagte der Mann mit einer Stimme, die Johanna eine Gänsehaut bereitete. »Eine Gruppe bewaffneter Männer hat den Präsidentenpalast in ihre Gewalt gebracht, mindestens ein Polizist ist dabei verletzt worden. Die Attentäter haben erklärt, sie würden eine erste Geisel erschießen, falls ihre festgenommenen serbischen Genossen nicht innerhalb von fünfzehn Minuten bei ihnen in der Residenz sind.«
Durch Johannas Kopf ging ein Rauschen. Vasa Jankovic! Sie war auf der richtigen Spur gewesen, aber leider zu spät. Vor ihr sprang die Ampel auf Rot. Sie bremste heftig und vermied nur knapp einen Auffahrunfall. »Der Polizeikommandant ist auf dem Empfang in der Residenz. Ich habe Kovalainen Meldung gemacht. Er hat die Lage kurz überdacht und der Streife mit den beiden Serben befohlen, in Richtung Residenz zu fahren. Jetzt brauchten wir eigentlich die Stellungnahme der obersten Polizeiführung, damit wir wissen, was wir tun sollen, aber die ist natürlich auf dem Empfang.« »Auf die Schnelle gibt es keine andere Möglichkeit. Ich fahre auch zur Residenz«, sagte Johanna, setzte den Blinker und fuhr mit hohem Tempo auf die
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