Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
Vom Netzwerk:
gezogen. Ihre Metamorphose war vollendet. Was sie hier im Polizeiwagen transportierten, waren zwei Soldaten in kompletter Kampfausrüstung.
    »Die Lage hier vor der Residenz des Präsidenten ist äußerst unübersichtlich.« Die Stimme des Reporters klang angespannt und hektisch. »In der ganzen Gegend herrscht reges Polizeiaufkommen, Passanten werden aus dem Weg gescheucht. Vor wenigen Minuten hat ein Krankenwagen den Seiteneingang in der Mariankatu verlassen ...«
    »Zwei-zwei-sechs, wo seid ihr?«, wurde erneut per Funk gefragt. »Wir biegen gerade in die Mannerheimintie ein«, antwortete Niemi gereizt, weil er so angetrieben wurde.
    »Es muss schneller gehen, zwei Streifen machen euch den Weg frei. Gib Gas!«
    Niemi erhöhte das Tempo. Zwanghaft musste er immer wieder in den Spiegel schauen. Die Umrisse der Männer in der schwarzen Sturmausrüstung und mit den Maschinenpistolen zeichneten sich vor dem Heckfenster ab.
    Ein kalter Schauer nach dem anderen lief Niemi über den Rücken. Das hier würde er nie vergessen: Sie brachten feindliche Soldaten direkt in den Präsidentenpalast, mitten ins Allerheiligste der Republik.
    Vasa schwankte mit den schnellen Bewegungen des Fahrzeugs hin und her. Er hielt seine Waffe deutlich sichtbar vor dem Körper, steckte sich mit der anderen Hand wieder den Knopf ins Ohr und bog die gepolsterte Halterung hinter die Ohrmuschel. Das Halsmikrofon war die ganze Zeit an seinem Platz geblieben, und der Sender hatte Strom. Gleich würden sie wieder in den Sendebereich kommen.
    »Schlechter Anfang, Lazar«, sagte Danilo heiser, während er letzte Hand an seine Ausrüstung legte.
    »Noch ist nichts verloren, nicht das Geringste«, erwiderte Vasa und meinte es auch so.
    Danilo war nervös - kein Wunder. Gleich zu Beginn waren sie gewissermaßen in Rückstand geraten. Hatte die Polizei sie zufällig gestoppt, oder besaßen sie aus irgendeinem Grund Informationen über den Landrover?
    Es musste Zufall gewesen sein. Allein der Gedanke, unter Umständen einen Fehler in der Vorbereitung begangen zu haben, machte Vasa rasend. Dummheit war etwas, das er noch nie ertragen hatte. Mit den physischen Kräften kam man irgendwann an seine Grenzen, aber die Kapazität des Gehirns war im Prinzip grenzenlos. Als Vasa ein kleiner Junge war, wurde er für eine Leseratte, für zart und zerbrechlich gehalten, und tatsächlich war er bei Rauferein oft unterlegen. Wenn Radovan einmal verloren hatte - was sehr selten vorkam -, konnte er seine Niederlage nicht ertragen. Vasa hingegen hatte damals jede Niederlage geschluckt, denn er hatte seine physische Schwäche akzeptiert.
    Mit zunehmendem Alter hatte Radovan dann zu verlieren gelernt, während es für Vasa immer schwieriger wurde, vor allem nach dem Umzug nach Schweden. Für Prüfungen hatte er geackert, damit er seinen Kommilitonen überlegen war, speziell den schwedischen. Seine Examensarbeit nahm jetzt schon fast die Ausmaße einer Doktorarbeit an. Auch bei den Überfällen auf die Geldtransporter war von Anfang an Siegeswille im Spiel gewesen und der Wunsch, es allen zu zeigen, je öfter es Vasa gelungen war, die schwedischen Behörden übers Ohr zu hauen, umso großartiger hatte er sich gefühlt. Die Schweden lebten seit Generationen in einer heilen Welt, sie waren vorsichtig, vermieden Konflikte und neigten dazu, nachzugeben. Damit verkörperten sie das genaue Gegenteil von der Kraft des Blutes, das in Vasas Adern floss. Es entsprang der Geschichte seiner Familie, seines Geschlechts, dem Charakter jener Menschen, die durch die ganze Historie hindurch gezwungen gewesen waren, sich im Kreuzfeuer von Völkern und Zivilisationen zu behaupten. Die Gewalt war ihm über die Gene vererbt worden, nicht einmal das schwedische »Volksheim« konnte sie in ihm zum Erlöschen bringen. Oder wäre es am Ende doch möglich gewesen, mit der Zeit? Vasas Blick fiel im Dämmerlicht des Autos auf Danilos Augen im Sehschlitz der Sturmhaube. Auch in ihnen brannte das Feuer, der Glaube eines jungen Mannes an seine Allmacht. Doch in letzter Zeit schien sich Danilo, der fast sein ganzes Leben in Schweden verbracht hatte, trotz seines Interesses weit von seinem Geschlecht und seinen Vorfahren auf dem Balkan entfernt zu haben. Es haftete mittlerweile etwas Schwedisches an ihm, eine schwer zu identifizierende Oberflächlichkeit, die Vasa unwahrscheinlich ärgerte. Danilo bezog seine Handlungsmuster und seine Vorstellung von Ehre eher aus den Hunderten von Gewaltfilmen, die er gesehen

Weitere Kostenlose Bücher