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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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aufgehen.
    Ein junger Mann in ordentlichem Hemd erschien. Eine junge Frau blickte ihm über die Schulter. Aus dem Wohnzimmer hörte man die Sondersendung der Nachrichten, die über die Lage in der Residenz berichtete.
    »Was ist hier los?«
    »Haben Sie einen VHS-Recorder?«
    »Wofür brauchen Sie den?«
    »Haben Sie einen oder nicht?«
    »Wir besitzen keine Antiquitäten.«
    Zum selben Zeitpunkt zersplitterte die Glastür der Touristinformation der Stadt Helsinki. Wachtmeister Katajisto schlug so lange mit dem Wagenheber das Glas aus der Tür, bis er sich hineinzwängen konnte. Die Alarmanlage heulte mit 145 Dezibel, während Katajisto durch die Räume ging. Er hatte richtig vermutet. Im Konferenzraum öffnete er einen niedrigen Schrank, und dort standen Videokanone und DVDSpieler.
    Hinter der letzten Schranktür befand sich ein schwarzer Videorecorder. Er nahm ihn aus dem Fach, riss die Kabel heraus und klemmte sich das Gerät unter den Arm.
39
    Im Personalraum des Gefängnisses in Mikkeli herrschte lautes Stimmengewirr. Alles, was an Personal verfügbar war, hatte sich vor dem Fernseher versammelt.
    Die schockierenden Bilder aus dem Präsidentenpalast waren gerade abrupt abgebrochen worden, und ein Reporter, der auf dem zugigen Markplatz stand, war auf dem Bildschirm erschienen. Im Hintergrund sah man den Präsidentenpalast als Teil des Häuserblocks, den die Polizei abgeriegelt hatte.
    »... besteht vorerst keine Klarheit. Die Polizei hat angekündigt, in einer Stunde eine Erklärung abzugeben. Ein Teil der Geiseln ist also freigelassen worden, aber man lässt keine Medienvertreter zu ihnen. Die Geiselnehmer halten in der Residenz weiterhin die oberste Staatsführung gefangen. Damit zurück ins Studio.« Der Redakteur im Studio blickte auf seinen Monitor und richtete dann den Blick in die Kamera. »Verehrte Zuschauer«, sagte er unsicher. »Wir zeigen Ihnen nun auf Verlangen der Geiselnehmer ein Videoband, über dessen Inhalt und Charakter uns nichts mitgeteilt worden ist. Sicherheitshalber empfehlen wir Kindern und empfindlichen Zuschauern, die Empfangsgeräte zu verlassen ...«
    Das Stimmengewirr, die Diskussionen und Spekulationen verstummten. Alle konzentrierten sich auf das Privatvideo, das jetzt gezeigt wurde. Man sah spielende Kinder in heimischer Umgebung. Und die lächelnde Mutter der Kinder. Dann ging es in den Hof hinaus. Die Kinder planschten in einem Schwimmbecken aus Plastik. Fröhlich widerhallende Schreie. Die Sprache klang osteuropäisch.
    Dann sah man ein Auto durch die Einfahrt kommen und vor der Garage parken: Der Vater kam von der Arbeit nach Hause. Die Kinder hüpften vor Begeisterung. Ein Mann in Uniform stieg aus dem Wagen und nahm ein kleines Mädchen auf den Arm. Dann wurde das Gesicht des Vaters in Nahaufnahme gezeigt.
    Die Gefängniswärter in Mikkeli waren bestürzt. Auf dem Bildschirm war Oberst Borislav Jankovic als junger Mann zu sehen.
    Mit dem Handy am Ohr blickte Vasa auf das Fernsehgerät, das im Spiegelsaal auf dem Fußboden stand. Auf dem Bildschirm zeigte Radovan im Teenager-Alter Kunststückchen mit dem Fußball. Vater hatte Vasa und Mila auf dem Schoß und applaudierte. In Wirklichkeit hatte der Vater seine Kinder nur selten auf den Schoß genommen, aber für den Film wollte er ein bisschen posieren.
    »Was siehst du?«, fragte Vasa auf Englisch ins Telefon.
    »Ich sehe, dass ihr ein ziemlich angenehmes Leben hattet. Ich dachte immer, im sozialistischen Jugoslawien hätten die Soldaten in grauen Plattenbauten gewohnt«, sagte Jasmin.
    »Gut«, erwiderte Vasa erleichtert. Er hatte geahnt, dass es die Finnen nicht wagen würden, das Video nicht in die Wohnzimmer aller Bürger zu senden. Der Fernseher in der Residenz hing an einem Kabelanschluss, nicht am Antennennetz, darum hatte Vasa beschlossen, das Ganze durch Jasmin überprüfen zu lassen.
    »Verdiente Offiziere konnten ein eigenes kleines Haus bekommen«, sagte Vasa nachdenklich. »Aber zumindest unser Haus war nicht gerade in besonders gutem Zustand.«
    Er sah sich selbst auf dem Bildschirm, den kleinen Jungen mit den großen Augen und den dunklen Locken, den seine Mutter lachend auf den Arm nahm. In der nächsten Einstellung waren Menschen in festlicher Kleidung zu sehen, hier war die Hochzeit des Onkels im Gange. Vasa spürte, wie ihn innerlich die Rührung packte. Der glatt rasierte, braun gebrannte Vater stand inmitten einer kleinen Gruppe von Männern aus der Verwandtschaft, wieder in Uniform, und schaute mit

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