Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
Stirn der Frau, dass diese das Gleichgewicht verlor und hinfiel. »Nur ein Feigling dreht sein Fähnchen nach dem Wind! Ich zitiere wortwörtlich aus einem Interview mit Ihnen, das am 10. April desselben Jahres erschien: >Ein humanitärer Angriff war unvermeidliche Humanitärer Angriff ? Was, zum Teufel, soll das sein?«
Bange verfolgte Johanna die Auseinandersetzung zwischen Vasa und der amerikanischen Botschafterin. Der junge Jankovic hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit einer Sorgfalt, die beinahe zwanghaft wirkte. Johanna warf einen vorsichtigen Blick auf Sarimo, den KRP-Chef. Der große, breitschultrige Mann stand mit ernstem Gesicht in seiner Ausgehuniform inmitten der Menge. Wenige Meter von ihm entfernt standen der Innenminister und der Polizeidirektor aus dem Innenministerium, dahinter der Polizeipräsident der Provinz Südfinnland. Keiner von ihnen würdigte Johanna eines Blickes, was auch klug war. Nichts durfte zwischen ihnen vorfallen, was das Interesse der Serben für Johanna wecken könnte.
Die Botschafterin saß auf dem Boden und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Jankovic ging zu einem seiner Komplizen, und die beiden fingen an, heftig gestikulierend miteinander auf Serbisch zu sprechen. Dass die Politik aufs Tapet kam, war ein schlechtes Zeichen. Das galt auch für die Tatsache, dass die Nerven der Geiselnehmer zusehends angespannt waren und mindestens einer der Männer sadistische Neigungen an den Tag legte. Die Situation konnte jeden Moment außer Kontrolle geraten. Helste und Sohlman versuchten offensichtlich auf Zeit zu spielen, aber in dieser Lage war das die falsche Taktik.
Johanna machte einige Schritte auf den Geiselnehmer zu, der ihr am nächsten stand.
»Ich müsste auf die Toilette«, sagte sie.
Der Mann musterte sie brüsk von Kopf bis Fuß und blickte dann fragend auf seinen Kameraden. »Ist okay«, sagte der. »Aber schnell!« Auf der Damentoilette nahm Johanna das Handy, das sie im Abfalleimer versteckt hatte, und rief Helste an.
»Bitte warten Sie einen Moment, bitte legen Sie nicht auf...« Johanna fluchte innerlich. Wenige Sekunden später meldete sich Helste zum Glück.
»Johanna«, sagte er. »Wie ist die Lage? Bist du in Ordnung?« »Ja. Außer dass ich die Ehefrau von Wirtschaftsminister Heinonen geworden bin«, flüsterte Johanna.
»Dann sieht es also wirklich übel aus«, versuchte Helste zu lachen. »Es sind sechs Geiselnehmer, alle maskiert außer Jankovic. Angespannte Nerven, Finger am Abzug. Tut, was sie verlangen, sofort! Keine Spielchen jetzt. Sarimo sagt das auch. Er ist wahrscheinlich in Kontakt mit der übrigen hier anwesenden Polizeiführung gewesen, möglicherweise auch mit dem Innenminister und der Premierministerin. Hast du verstanden?«
»Die vom Fernsehen haben hier kein VHS-Gerät, das Ultimatum werden wir auf jeden Fall überschreiten müssen, ob wir wollen oder nicht... War der Verbindungsgang gut benutzbar? Sohlman baut seinen Plan darauf auf.«
»Der Weg ist okay, aber sehr eng. Im Gang wartet eine Frau, eine der Geiseln, bringt sie in Sicherheit. Nach dem Gang kommt ein Abstellraum. Geiseln und Geiselnehmer sind im Spiegelsaal. Von dort aus machen die Serben ihre Kontrollgänge. Halte um Himmels willen Sohlman in Schach! Sonst gibt es hier ein Blutbad. Und beeilt euch mit der Kassette. Andernfalls erschießen sie die Amerikanerin wirklich, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.«
Mit kaltem Schweiß auf der Stirn legte Helste auf. Er verließ sich auf Johannas Beurteilung der Lage. Es sah noch düsterer aus, als er befürchtet hatte.
»Bringen wir die Kassette ins Sendezentrum nach Pasila?«, fragte der Regisseur.
»Dafür ist keine Zeit«, sagte Helste und rannte hinaus zu den Polizisten und gab ihnen Anweisungen, worauf sie sich sofort in Bewegung setzten. Wenige Augenblicke später schlug Oberwachtmeister Rahunen die Scheibe in der Tür eines Hauses im unteren Teil der Mariankatu ein, griff hinein und öffnete die Haustür. Drinnen rannte er wenige Stufen hinauf und klingelte an der ersten Wohnungstür. Keine Reaktion.
Er läutete an der Tür gegenüber. Keine Reaktion. Dann hörte er hinter der ersten Tür ein Geräusch.
»Polizei. Machen Sie auf!«, rief Rahunen.
Vorsichtig ging die Tür auf. Hinter der vorgelegten Kette spähte eine ältere Dame heraus.
»Besitzen Sie einen VHS-Recorder?«, fragte Rahunen außer Atem. »Einen was?«, fragte die Dame mit schnarrender Stimme.
Da hörte Rahunen die Tür hinter sich
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