Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
Berichterstattung führte die Menschen bei allen Fragen, die mit dem Beginn des Kosovokrieges zu tun hatten, geradezu in die Irre«, hieß es im Untertitel. »Die zentralen Prinzipien des Völkerrechts wurden mit Füßen getreten. Die Frage lautete: Wer hat das Recht, über den Einsatz von Gewalt zu entscheiden, und wie soll das geschehen?«
»Die Vorbereitungen sind jetzt getroffen, und wir kommen allmählich zur Sache«, erklärte Jankovic. Das gesamte Telefonat wurde auf Festplatte aufgezeichnet. »Ich sage Ihnen nun, was Sie als Nächstes zu tun haben. Vielleicht haben Sie es auch schon erraten.«
Helste antwortete nicht, denn es gab nichts zu sagen. Er strich sich nervös über den Schnurrbart. Im Bus war es mucksmäuschenstill. Vor den verdunkelten Scheiben leuchteten die Blaulichter der Polizeifahrzeuge. Der Anblick auf dem Fernsehbildschirm war trostlos: Häuserruinen in fahler, bläulicher Morgendämmerung. Eine hysterisch weinende junge Mutter auf den Knien vor ihrem zerstörten Haus. Die Untertitel berichteten: »Laut offizieller, für den deutschen Bundesgerichtshof auf der Grundlage von konkreten Nachforschungen erstellter Gutachten ist es im Kosovo nie zu Formen ethnischer Verfolgung gekommen, die dagegen sprechen würden, das Land als sicher einzustufen, auch für die albanische Bevölkerung. Erst nach Beginn des Luftkriegs ging es mit den Vertreibungen und anderen Gewalttaten los.«
»Als Nächstes werdet ihr den zu Unrecht verurteilten Oberst Borislav Jankovic hierherbringen«, sagte Vasa. »Dafür habt ihr eine Stunde Zeit.«
»Es ist absolut unmöglich, den Oberst innerhalb von einer Stunde hierzuhaben«, fuhr Helste auf und hoffte, Jankovic werde nicht auflegen. »Reden Sie keinen Mist. Sie wissen so gut wie ich, dass man mit dem Hubschrauber höchstens eine Stunde von Turku nach Helsinki braucht.«
»Er ist nicht mehr in Turku im Gefängnis, sondern in Mikkeli. Es war eine Sicherheitsmaßnahme, ihn zu verlegen, und es bestand die Absicht, ihn in Kürze erneut zu verlegen. Der Helikopter braucht von Mikkeli aus mindestens zwei Stunden.«
Vasa biss sich auf die Lippen. Was Helste behauptete, konnte stimmen oder eben nicht...
»Ich melde mich gleich wieder«, sagte er und legte auf.
Er zog die Liste aus der Tasche und ging die Namen und Dienstgrade der Geiseln durch.
»Bring mir den Polizeidirektor und den Chef der Sicherheitspolizei her!«, sagte er zu Slobo. »Und zwei Stifte.«
Auf dem Fernsehschirm sah man ein Mädchen, das durch eine Streubombe Arme und Beine verloren hatte. Es lag im Krankenhaus und erzählte, wie es einen Gegenstand vom Boden aufhob, von dem es nicht wusste, was es war. Vasa hatte die Einstellung beim Zusammenschneiden des Videos unzählige Male gesehen, und jedes Mal war er von der Erzählung des Mädchens mit den schiefen Zähnen zutiefst gerührt gewesen.
Die Finnen würden den Film, der gerade auf die Fernsehapparate übertragen wurde, als Propaganda abtun, das wusste Vasa, aber alles, was dort gesagt wurde, stimmte, und das würden die meisten Zuschauer hoffentlich verstehen. Der Film enthielt nichts von der Desinformation, wie sie alle Beteiligten des Balkankrieges verbreitet hatten. Schon im August 1992 hatten Nachrichtenbilder dazu beigetragen, die Vorstellung von den Serben als den neuen Nazis zu propagieren, als weltweit Bilder aus Trnopolje verbreitet wurden, die muslimische Gefangene hinter einem Stacheldrahtzaun zeigten. Ein Konzentrationslager!, erschrak die ganze Welt, obwohl es in Trnopolje so etwas in Wahrheit gar nicht gab. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur ITN hatte die Aufnahmen auf dem Gelände eines alten Bahnhofs gemacht -und dabei selbst innerhalb des Zauns gestanden, während sich die anderen Menschen davor aufgehalten hatten. Die öffentliche Meinung war nach allen Regeln der Desinformation bewusst und in organisierter Form in antiserbische Richtung manipuliert worden.
Vasa fuhr aus seinen Gedanken auf, als der Polizeidirektor und der Chef der Sicherheitspolizei vor ihn traten.
»Hier haben Sie beide einen Stift«, sagte Vasa. »Sie werden jetzt auf ihre Handfläche die Antwort auf die Frage schreiben, die ich Ihnen gleich stelle.« Vasa reichte den Männern die Stifte.
Zlatan hatte sich mittlerweile neben Vasa gestellt.
»Drehen Sie sich mit dem Rücken zueinander«, befahl Vasa. »Schreiben Sie auf, in welcher Stadt Oberst Borislav Jankovic zu dieser Stunde im Gefängnis sitzt!«
Die Männer schrieben ihre Antwort, Zlatan packte
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