Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
39
Rasch verschwand Roni von der Tür. Er drehte eine Runde im Wohnzimmer und kam von dort seiner Meinung nach ganz natürlich auf Rahnasto zu. Der Polizist verabschiedete sich von ihm mit den gleichen Worten, die er auch seinem Vater gesagt hatte, und Roni brachte den Mann hinaus. Dabei hatte er das Gefühl, noch einmal Julias Schicksal zur Sprache bringen zu müssen. Als Rahnasto die Wagentür öffnete, sagte Roni: »Versuchen Sie den Mörder zu schnappen.« Seine Stimme klang heiser und kummervoll, und zwar genau in der richtigen Mischung.
»Wir werden unser Bestes geben. Außerdem liegt bei solchen Fällen die Aufklärungsquote praktisch bei hundert Prozent.«
Roni nickte.
Langsam, aber mit bedrohlicher Sicherheit drang der Satz des Polizisten in sein Bewusstsein.
12
Sirje saß nervös am Tisch eines Cafes im Einkaufszentrum Jumbo. Ihre Augen waren gerötet, die Hände zitterten. Kimmos Hassgefühle gegen den Mörder hatten auch sie angesteckt -kurzfristig war dadurch die Verzweiflung gewichen. Der Hass lenkte von der Trauer ab und war leichter zu ertragen. Es war kurz vor acht Uhr, und ein Teil der Läden machte bereits Anstalten, zu schließen. Kimmos Gedanke, es könnte eine Verbindung zwischen Toomas und dem bei Julia entdeckten Geld bestehen, belastete Sirje immer mehr. Das war eine sehr weit hergeholte Theorie. Toomas war mit seinem Patenkind gelegentlich im Kino gewesen, hatte sie manchmal irgendwo hingefahren oder abgeholt und sie im Urlaub mal nach Stockholm und sogar nach Spanien mitgenommen. Auch in Tallinn war Julia mehrmals mit ihm gewesen, obwohl sie dort gar keine engeren Verwandten mehr hatten. Sirje selbst fuhr so gut wie nie in ihre frühere Heimat, zuletzt war sie vor Weihnachten dort gewesen, bei der Beerdigung einer Tante. Auf demselben Friedhof, auf dem vor vierzehn Jahren die Eltern von Sirje und Toomas beerdigt worden waren, zusammen mit vielen anderen, die beim Untergang der Estonia ums Leben gekommen waren.
Toomas kam mit ernster Miene anmarschiert. In seinem gut sitzenden Anzug sah er wie ein Mann von Welt aus. Eine Duftwolke von teurem Parfüm umgab ihn. Gleich nachdem er von Julias Tod erfahren hatte, war er bei Sirje und Kimmo gewesen, aber Sirje hatte seine Anwesenheit vor Schmerz kaum wahrgenommen.
»Wir geht es dir?« Toomas umarmte seine Schwester. »So einigermaßen.« Sirje setzte sich wieder und schnäuzte sich in ein Papiertaschentuch, das sie dann in der Hand behielt. »Besser als Kimmo?« »Was meinst du damit?« »Du weißt genau, was ich damit meine. Er ist nicht mehr er selbst.« Sirje antwortete nicht. Toomas würde bald erahnen, dass Kimmo sie geschickt hatte.
»Wir waren im Bestattungsinstitut«, sagte sie. »Wir haben einen Sarg ausgesucht.«
Toomas biss sich auf die Unterlippe. Seine Augen wurden feucht, und er legte seine Hand auf Sirjes.
»Möchtest du einen Kaffee?«, fragte Sirje mit so ruhiger Stimme, dass es unnatürlich klang.
»Nein danke. Ich habe nicht viel Zeit.«
»Dann lass uns direkt zur Sache kommen. Hat Julia von dir Geld erhalten?« Toomas' Miene veränderte sich nicht. »Warum hätte sie?«
»Das weiß ich nicht. Das frage ich ja dich.«
»Wie kommst du auf so etwas? Durch Kimmo?«
»Ich habe das Geld mit eigenen Augen gesehen. Hast du etwas damit zu tun?« Toomas seufzte. »Ich will nicht darüber reden.«
Sirje drückte seine Hand. »Du weißt also von dem Geld? Rede mit mir ... Sag mir alles, das kann der Polizei helfen!«
Toomas sah seine Schwester lange aus seinen braunen Augen an. Plötzlich ließ sie seine Hand abrupt los, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen. »Ach, so ist das ... du hast ... Weißt du etwas, das ...« »Nein! Beruhige dich. Das Geld hat mit dem Mord überhaupt nichts zu tun.« »Du willst nicht darüber reden, weil du Angst vor der Polizei hast?« 40
»Das Geld hat nichts mit dem Mord zu tun. Ich schwöre es. Reden wir nicht darüber. Die Polizei braucht davon nichts zu wissen. Es hat nichts mit dem Fall zu tun. Und ich habe keine Angst vor der Polizei. Ich habe nichts Böses getan.«
»Die Polizei weiß natürlich längst von dem Geld«, sagte Sirje wütend. »Ein Polizist hat es ja überhaupt erst in Julias Zimmer gefunden. Er hat sich sehr dafür interessiert und wollte von uns wissen, wo Julia es hergehabt haben könnte.«
»Habt ihr etwas von mir gesagt?«
»Nein. Noch nicht.«
Toomas' Miene verdüsterte sich. »Das klingt wie eine Drohung.« »Ist mir egal, wie es klingt. Kimmo und
Weitere Kostenlose Bücher