Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
später klingelte er an der Tür. Seine Mutter öffnete und war freudig überrascht.
»Du!«
Sie nahm ihn in den Arm, er spürte die weiche Kaschmirwolle ihres Pullovers. Sogleich bekam er einen Kloß im Hals. Würde sie ihn auch umarmen, wenn sie wüsste, was er getan hatte?
Der Gedanke verflog, als Roni die Alkoholfahne unter dem Parfüm seiner Mutter roch. Enttäuscht und fast gewaltsam löste er sich aus der Umarmung. Sie richtete sich erstaunt die blonden Haare und zeigte, dass sie seine Reaktion zu deuten wusste. Roni hielt seine Zunge im Zaum und ging durch den Flur. Die Wohnung war gemütlich, alles war sauber und ordentlich. Einen großen Teil des Wohnzimmers nahm das Klavier ein. Einen Barschrank gab es nicht, und es war auch sonst nichts erkennbar, was auf den Alkoholkonsum seiner Mutter hindeutete. Sie war immer geschickt darin gewesen, ihre Trinkgewohnheiten zu verheimlichen.
»Gerade habe ich das mit Julia gehört ... Das ist ja schrecklich ...« Sie ging auf Roni zu, um ihn zu trösten, aber er wich ihr aus. »Reden wir nicht davon. Ich ... möchte nicht darüber reden.«
»Ich verstehe.« Es war nur zu offensichtlich, dass sie gerne darüber gesprochen hätte, aber sie zwang sich, eine fröhlichere Miene aufzusetzen. »Heute habe ich etwas über dich in der Zeitung gelesen«, sagte sie mit einer Mischung aus Stichelei und Stolz. »Angeblich wirst du der nächste Finne in der Formel 1 sein.«
Roni seufzte. Mit beiden Händen in den Taschen stand er am Fenster und sah hinaus. »Die Frage ist nur, wann das passieren wird. Alles geht so langsam und zäh.«
»Du kommst genau richtig. Ich habe eine Pizza im Ofen.«
Roni setzte sich auf die Couch, auf der eine bunte Patchwork-decke als Überwurf lag. Er registrierte den forschenden Blick seiner Mutter. Merkte sie etwas?
Plötzlich wäre er am liebsten gleich wieder verschwunden. »Ich habe gerade gegessen. Ich wollte nur kurz vorbeischauen ...«
»Sie ist gleich fertig. Mit Thunfisch und Krabben.« »Wie geht's dir denn so?«, fragte Roni. »Ganz gut. Gestern war ich mit Mari aus, du kannst dich sicher noch an sie erinnern ...«
Du brauchst gar nicht erst nach Ausreden für deine Fahne zu suchen, hätte Roni sagen mögen, aber er begnügte sich mit einem Nicken.
»Jarkko und ich wollen für ein langes Wochenende nach Prag fahren.« »Schöne Stadt.« Roni gab sich Mühe, möglichst natürlich zu klingen. Er kam mit dem derzeitigen Freund seiner Mutter nicht klar. Der Mann machte nicht einmal den Versuch, die Mutter vom Alkohol fernzuhalten.
»Und du?«, fragte sie, »wie geht es dir denn ... ich meine eigentlich?« Ihr Tonfall ließ Roni auf der Hut sein.
»Was heißt eigentlich? Es geht mir ganz gut, eigentlich und uneigentlich.« »Lass uns in die Küche gehen. Ich hol die Pizza aus dem Ofen.« Roni ließ sie vorgehen. Er blieb noch im Wohnzimmer, um sich das gerahmte Foto an der Wand anzuschauen. Er war darauf neun Jahre alt und saß auf einem Fahrrad. Seine Mutter stand neben ihm. Bilder mit Autos hatte sie nie gemocht. Auf einem anderen Foto standen Roni und Valtteri mit Angeln in der Hand am Fluss.
»Hast du etwas von Valtteri gehört?«, fragte die Mutter vorsichtig. Sie war aus der Küche gekommen und lehnte im Türrahmen.
Roni schüttelte den Kopf. Alles Energische war nun aus dem Gesicht seiner Mutter gewichen. Es sah aus, als wären auch ihre Schultern eingesunken, als sie nach Valtteri fragte. Eine Weile standen sie schweigend vor dem Bild. Einer der beiden Menschen, die darauf zu sehen waren, existierte nicht mehr. Es gab nur noch den fremden jungen Mann, in den sich Ronis Halbbruder inzwischen verwandelt hatte.
Auf einmal verspürte Roni ein unwiderstehliches Bedürfnis, zu reden. Bis in alle Einzelheiten wollte er seiner Mutter alles erzählen, den ganzen Schmutz loswerden. Er begriff, dass er nicht alles bis ans Ende seines Lebens für sich behalten konnte. Manchmal hatte er sich über Fälle gewundert, in denen jemand, der ein Verbrechen begangen hatte, nach vielen Jahren zur Polizei ging und ein Geständnis ablegte. Jetzt wunderte er sich nicht mehr darüber.
Im Schein des Hoflichts prasselte der Regen in die Pfützen. Tero schloss den Aston Martin ab und eilte ins Haus. Im Flur zog er seinen nassen Mantel aus und schüttelte ihn. »Roni!«
Er ging zu Ronis Zimmer und klopfte energisch an. Keine Reaktion. Er öffnete die Tür. Das Zimmer war leer. Wo war Roni hingegangen? In dieser Situation hätte er besser daheim
Weitere Kostenlose Bücher