RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
waren. Die SS-Wachen sind drau ss en.
Ich stehle mich hoch zur Küche, meine Knöchel klopfen an die Tür. „Es tut mir leid, Sie zu stören“, sage ich auf Polnisch, „doch ich habe eine Schwester, und wir sind beide sehr hung rig. Wir sind aus Tylicz. Wenn Sie eine Kartoffel erübrigen können, werde ich sie mit ihr teilen. Geben Sie mir zwei, wer de ich eine für mich behalten.“
Ich höre den Ehemann sagen: „Wir haben nicht genug, um was herzugeben!“
„Sie kommt aus Tylicz!“, betont die Frau. Die Familie berät sich. Da ich sie nicht in Gefahr bringen will, warte ich drau ss en und schnappe einzelne Gesprächsfetzen auf. Die Tür öffnet sich einen Spalt. Ein Strahl warmen, goldenen Lichts fällt auf mein Gesicht. Die Augen der Frau sind feucht vor Sorge und Furcht. „Nimm das.“ Sie gibt mir zwei hartgekoch te Eier und zwei gekochte Kartoffeln. Ich halte sie in der Hand, lasse die Wärme in meine Haut eindringen und den Duft zu meiner Nase aufsteigen.
„J ękuje. bóg zapłać. Vergelt’s Gott.“ Ich entferne mich von der Tür. „Ich werde Sie nie vergessen.“ In dieser Nacht haben wir zu essen.
Ich wei ss nicht, wie lange wir gelaufen sind und wie weit, ich kann mich nicht erinnern, wie oft der Himmel hell und dann wieder dunkel geworden ist, wie viele Male meine Uhr vier undzwanzig Umdrehungen gemacht hat und in wie vielen Scheunen wir auf dem Boden zusammengesunken sind. Es hät te ein Marschtag oder zehn sein können. Ich wei ss es nicht, es kümmert mich nicht. Ich fühle mich so elend, da ss ich sterben möchte, ich habe einen so entsetzlichen Durchfall, da ss ich zum Plumpsklo laufe, ohne zu fragen. Die SS scheint es leid zu sein, Menschen zu erschie ss en, denn sie haben mich nicht er schossen, obwohl ich mich ohne Erlaubnis von der Scheune entfernt habe. Nachts versuche ich zu schlafen, aber wir frie ren, und mein Magen ist leer.
„Raus! Raus!“ Ich stehe auf und gehe zur Au ss entoilette. Dort werde ich bleiben. Sie haben Mädchen erschossen, die versucht haben, sich zu verstecken und zu entkommen, aber das ist mir jetzt alles egal. Ich bekomme mit, wie die SS alle Aufstellung nehmen lä ss t, lege meinen Kopf auf meine Hände, weil ich zu schwach bin, ihn länger aufrecht zu halten.
Ich höre jemanden vor der Tür. Man wird mich erschie ss en. Es wird eine Erleichterung sein, ich warte.
„Rena.“ Ich höre Dankas Stimme vor der Tür. Ich ziehe meine Hose hoch und binde sie fest, falle aber wieder zurück auf den Sitz; unfähig aufzustehen.
„Was machst du Rena?“ Sie macht die Türe auf.
„Geh ohne mich weiter“, sage ich ihr. „Ich bleibe hier.“
„Nein, das wirst du nicht. Du kommst mit mir.“
„Ich kann nicht mehr laufen, Danka ... rette dich.“
„Schau dir all die Leichen an. Sieh dir all die an, die tot sind, aber wir leben noch. Du wirst jetzt nicht sterben. Das werde ich nicht zulassen! Janka!“ Ich kann das Zittern in ihrer Stimme hören. Sie ist so tapfer. „Komm hilf mir.“ Ich entriegle die Tür, Ich kann meiner Schwester nicht ins Gesicht sehen. Ich warte, da ss ihre Hände mich hochziehen. Wir stolpern in die Reihe.
Ich nehme alle Kraft und allen Mut der Welt zusammen und stapfe, auf Danka und Janka gestützt, wieder durch den Schnee. Wir gehen ewig. Die Sonne geht kalt über einer öden Landschaft auf. Ihre Hände unter meinen Ellbogen haben mich fest im Griff. Wir gehen, als wäre mit mir alles in Ordnung. Es ist für immer. Dann kommt plötzlich meine Kraft zurück.
„Ich kann wieder auf meinen eigenen Beinen stehen“, brin ge ich mühsam flüsternd hervor.
„Bist du sicher?“ Ich nicke. Janka lä ss t mich zuerst los. Ich stolpere nicht. Langsam lockert Danka ihren Griff. Ich gehe. Es ist ein Wunder. Ich fühle mich besser.
Stundenlang stapfen wir über Leichen, durch Schnee. Schüs se bringen die zu Fall, die zum Weitergehen zu schwach sind und diejenigen von uns, die noch immer zu fliehen versuchen. Wünsche ich mir, wir wären in Auschwitz-Birkenau geblieben? Trotz der Kälte und des Hungers, nein. Ich bin froh, da ss wir nicht hinter diesem Schild, hinter den Toren zum Hades ster ben werden. Es liegen so viele Leichen auf unserem Weg, da ss wir auch im Kreis hätten gehen können: Sie alle sehen gleich aus, erfroren, verzweifelt. Frei.
Wir kommen zu einem Bahnhof.
„Steigt in die Kohlenwaggons“, befehlen sie uns. Ohne Hil fe schaffen wir es kaum, aber es gibt keine Hilfe. Alle sind wir erschöpft und zu geschwächt,
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