RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
leidenschaftlichen Ge sichter. „Zuerst einmal denkt dran, wie schwer es ist, ein so tiefes Loch zu graben - wir würden uns selbst dabei umbrin gen. Zweitens, wir sind in Deutschland. In dieser Stadt gibt es keinen Deutschen, der einer Polin helfen würde, geschweige denn einer Jüdin. Glaubt ihr denn, es wäre irgendwo in diesem Land anders? Sie hassen uns. Wären wir in Polen, wäre das et was anderes, wir könnten darauf bauen, da ss uns unsere Leute bei der Flucht helfen. Doch wir sind es nicht. Wir wissen nicht einmal, wo wir sind. Wie weit ist es zur polnischen Grenze? In welche Richtung sollen wir gehen?“ Keine kann me ine Fragen beantworten. „ Wir würden von den Bewohnern oder von der SS gefangengenommen und getötet werden. Au ss erdem glaube ich, da ss wir von jeder Grenze weit weg sind.“
Enttäuschung macht sich auf ihren Gesichtern breit.
„Vielleicht haben die Italiener ja Recht, und es dauert nicht mehr lange. Vielleicht werden wir bald befreit.“
„Vielleicht.“ Doch keine glaubt wirklich daran.
Wir sind dazu übergegangen, zwei oder drei Leichen in jedes Grab zu legen. Aus Nahrungsmangel und wegen der schlechten Bedingungen im Lager lä ss t unsere Kraft rasch nach. Den Wagen den Berg hochzuschieben, ist eine Aufgabe, die wir kaum schaffen können. Die Überlegung, die alten Männer zu überwältigen, schwindet wie unser Gewicht und unsere Hoff nung auf baldige Befreiung. Je kleiner der Leichenhaufen wird, desto schlimmer wird es für uns, denn es ist Frühling, und die Körper beginnen zu zerfallen. Obenauf liegen auch neue Lei chen, und so kann man erst dann, wenn man eine berührt, sa gen, wie lange sie schon hier liegt. Einige müssen wir zurück lassen, sie würden sonst zerfallen. Wir müssen gut aufpassen, die sehr alten, verwesenden Leichname nicht zu bewegen.
Ich wache auf, liege allein in unserer Koje. Hat ein neuer Alp traum mich geweckt? Regen fällt auf das Dach über mir. Der Himmel über uns grollt und donnert so gewaltig, als läge Gott im Krieg und nicht die Menschheit. Wo ist Danka? Sie hat ent setzliche Angst vor Gewittern. Mama hat in Tylicz immer Ker zen angezündet und gebetet. Hier gibt es keine Kerzen. Ich starre ins Dunkel, kann aber nicht sagen, ob sie im Block ist oder nicht. Andere Augen glänzen in der Dunkelheit. Endlich zieht der Sturm über uns weiter. Ich frage mich, ob der Regen Alliierte und Deutsche gleicherma ss en überrascht hat. Die Tür geht auf, und meine Schwester kommt herein. Wie eine Fatam organa schimmert sie im D unkeln. Ihr rotes Haar, das wie der wächst, nachdem es einig e Monate nicht mehr rasiert wur de, rahmt ihr Gesicht
„Wo bist du gewesen?“ Ich wei ss nicht, ob ihre Wangen na ss vor Tränen oder vom Regen sind. Schweigend schüttelt sie den Kopf. „Was hast du gemacht, Danka?“, will ich von ihr wissen.
„Gebetet“, flüstert sie mit belegter Stimme. „Ich war drau ss en und habe gebetet, der Blitz möge mich töten, damit ich keinen Hunger mehr leiden mu ss .“
Eines Abends kommen wir erst zurück, als das Brot schon aus geteilt ist, und für uns, die wir den ganzen Tag gearbeitet ha ben, ist nichts mehr übrig. Ich melde mich freiwillig, der Blockältesten einen Eimer Ko hlen für den Ofen zu holen. Dan ka und Dina werfen mir einen warnenden Blick zu. Ich achte nicht darauf. Am Kohlenhaufen werfe ich einen prüfenden Blick auf das Umfeld, packe zwei Kartoffeln in den Eimer und lege die Kohlen darauf. Kopf nach vorne, den Blick gesenkt, so schleiche ich mich übers Gelände.
„Leer mal deinen Eimer auf den Boden.“ Ich erstarre. Als ich mich langsam herumdrehe, stehe ich Auge in Auge mit der Lagerältesten. „Nun?“
Zitternd schütte ich den Inhalt aus und hoffe dabei, da ss die Kartoffeln von genügend Kohlenstaub bedeckt sind, um inmit ten der seltsam geformten Kohlestücke getarnt zu sein.
„Du hast Kartoffeln gestohlen!“ Sie schlägt mir aufs linke Auge, ehe ich überhaupt daran denke, in Deckung zu gehen.
Sie wirft mich zu Boden, tritt auf mich ein, stampft mit ihren Stiefeln auf mir herum, versucht, mir mit ihren Fingernägeln das Fleisch von den Knochen zu rei ss en. Ich sehe nur noch den lodernden Ha ss in ihrem Gesicht: Es ist das Antlitz des Todes selbst. Eine Sekunde lockert sie ihren Griff. Ich krieche davon, fliehe übers Lagergelände. „Diebin! Diebin! Schei ss jüdin! Komm zurück du dreckige Hündin!“ Ihre Stimme folgt meiner Spur wie ein Bluthund seiner Fährte. Ich
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