RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
verschwinde hinter den Blocks, weiche den Scheinwerfern und der kreischenden Stimme der Wahnsinnigen aus. Im Schutz der Dunkelheit schlüpfe ich in einen der anderen Blocks.
„Ich habe eine Kartoffel gestohlen, und sie wird mich sicher umbringen“, flüstere ich ins Dunkel.
„Komm her.“ Ich höre eine freundliche, mir unbekannte Stimme und krieche schnell zwischen zwei Körper, verstecke mich unter deren Decke. Mindestens eine Stunde lang hören wir sie herumbrüllen: „Komm heraus du elende Mistbiene! Komm jetzt heraus! Du kannst dich nicht ewig verstecken. Ich kriege dich schon noch!“ Endlich beruhigt sie sich. Ich warte noch ein wenig, nur um sicherzugehen, da ss sie sich nicht ir gendwo versteckt, und schlüpfe dann aus der Koje, in der ich untergetaucht bin. „Danke, da ss ihr mir das Leben gerettet habt“, flüstere ich den Mädchen zu, deren Gesichter ich nicht kenne, dann krieche ich zurück durchs Lager, damit sie nicht erfährt, welcher Block mich versteckt hat. Mit meinem linken Auge kann ich überhaupt nichts sehen. Verstohlen schlängle ich mich im Schatten und an Wänden entlang zurück, bis ich unseren Block erreiche. Ich schlüpfe zu Danka ins Bett.
„O Rena. Was wird jetzt passieren?“
„Ich wei ss es nicht.“ Wir halten einander die ganze Nacht hindurch fest, schluchzend und beide zitternd vor Furcht. Jetzt ist es soweit. Das ist mein Ende. Das ist alles, was mir einfällt, und keine von uns beiden kann an etwas anderes denken. Um bleibt nichts anderes übrig, als uns zum letzten Mal aneinander zu klammern. Mit diesem blauen Auge werde ich den Anwesenheitsappell niemals überleben. Die Angstkälte lä ss t meine Zähne aufeinanderschlagen, es ist Todesangst. Die Befreiung ist so nah, und jetzt dies. Danka wird allein auf der Welt sein, wenn die Lagerälteste mit mir abgerechnet hat. Wir machen kein Auge zu.
„Raus! Raus!“
Danka und ich stellen uns ganz hinten in die Reihe. Schrei end und uns verfluchend geht die Lagerälteste die vorderen Reihen ab.
„Jede, die wei ss , wer gestern Abend die Kartoffeln gestohlen hat, sollte die Gefangene sofort melden. Wenn ich dahinter komme, da ss ihr mir Informationen vorenthaltet, werde ich euch an ihrer Stelle umbringen. Wer wei ss , wer die Kartoffeln gestohlen hat?“
Keine rührt sich, keine meldet sich. Die SS-Frau wandert von einer Reihe zur anderen, zählt jede Gefangene, sucht nach mir Sicherlich hat die Lagerälteste mein Gesicht gesehen und kennt mich als eine vom Leichenkommando. Sie wird mich se hen und mich töten. Ich stehe h inten und versuche nicht zu zit tern, versuche, tapfer zu sein.
Plötzlich werde ich sehr r uhig und mir wird warm. Ich spü re ein leichtes Kribbeln an meiner Wange, als hätte jemand mein Gesicht berührt. Mama?
Sie ist nur noch ein paar Gefangene von mir entfernt. Ich bin getröstet. „Erinnere dich, wie du Mengele entkommen bist.“ Ich erinnere mich - ich habe Danka erklärt, da ss wir unsichtbar sind, und wir waren es. Meine ganze Angst sickert über meine Fersen in den Boden, und ich habe volles Vertrauen, da ss ich unsichtbar bin. „Mama ist hier und steht neben mir, sie hält ihre Hand über mein Auge.“ Die SS-Frau sieht mich an, zählt mich und wendet sich ab. Danka seufzt.
„Schütze mich, wenn ich durchs Tor gehe, Mama“, bete ich. Ich mu ss noch mit den Leichen hinaus, und die Lagerälteste steht immer dort und zählt die Leichen, prüft unsere Num mern. Ich tue so, als würde ich hinten im Karren die Leichen zurechtrücken, und achte darauf, da ss ein Arm mein Auge be deckt, so da ss sie mein Gesicht nicht sehen und mich wiedererkennen kann.
Jeden Morgen spüre ich ein warmes Prickeln auf meinen Wangen, wenn die SS direkt an meinem blau-schwarz ge schwollenen Auge vorbeigeht. Jeden Morgen mache ich mich an den Leichen zu schaffen, wenn wir sie durchs Tor fahren, und jeden Morgen komme ich unerkannt an den Augen der Lagerältesten vorbei.
Wie lange kann das so weitergehen? Sechs Tage lang ver stecke ich mich vor der Mörderin, und sie sieht nie man Ge sicht. Sie sehen mich nicht, weil sie von ihrem Vorurteil ge blendet sind. Für sie sehen wir alle gleich aus. Wir haben die Identität von Schei ss e - Schei ss juden, Mistbienen.
2. Mai 1945.
Vier Uhr morgens. Automatisch wachen wir auf und treten aufgeregt ins Dämmerlicht, fragen uns, welchen neuen Streich unsere Wärter uns diesmal spielen. Es gibt keinen Appell. Au ss er uns ist keiner mehr im Lager, nur noch eine
Weitere Kostenlose Bücher