RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
ziehen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
Am Sonntag gibt es keinen Anwesenheitsappell. Dies ist der christliche Sabbat, und sie halten diesen Ruhetag ein, wenn auch nicht aus christlicher Nächstenliebe. Es ist ein freier Tag, sofern in Auschwitz irgend etwas frei genannt werden kann. Wir sitzen auf unseren Betten und unterhalten uns zum ersten Mal miteinander. „ Wo her kommst du? Wie alt bist du?“ Be deutungsloses Geschwätz, das im Gedächtnis keinen Platz hat. Wir reden nicht über unsere Lebensumstände. Verlegen ver su chen wir uns von den Läusen zu befreien, die sich in unseren Uniformen, in jeder Körperfalte, eingenistet haben, kratzen uns die Köpfe, streifen sie uns von den Unterarmen. Ich ziehe meine Hose aus und fahre mit dem Finger über die Säume und Taschen, ziehe die Blutsauger heraus und zerquetsche sie zwi schen meinen Nägeln, bis sie platzen oder zermatscht mein Blut verspritzen.
Binnen einer Stunde sind meine Fingernägel schwarz und blau vom Töten der Parasiten, ich sto ss e sie jetzt auf den Fu ss boden, wo ich sie mit meinen Schuhen zermatsche oder ihre sich windenden wei ss en Körper einfach ignoriere. Wenn ich über mein Tun nachdenke, wenn ich sie zu lange anschaue, mü ss te ich mich übergeben. Dieses Reinigungsritual dauert den ganzen Tag. Ich wasche drei oder viermal Gesicht und Hände, in der Hoffnung wieder ein Gefühl von Sauber keit zu bekom men. Es ist nutzlos. Schlie ss lich mu ss ich mich hinlegen und ausruhen. Doch der Schlaf will nicht kommen, denn da zwicken die Läuse, die ich übersehen habe, da höre ich die Stimmen der slowakischen Mädchen um mich herum, den schweren Atem meiner Schwester. Sie schläft. Ich mu ss wach sam sein. Ich liege auf meiner Pritsche, starre an die Decke und warte, da ss mich der Schlaf davonträgt. In man chen Näch ten kommt er schnell. In manchen Nächten schwebt er uner reichbar über mir. Manchmal höre ich die Gewehrsalven an der Wand von Block Elf. In anderen Nächten höre ich nichts, doch das hei ss t nicht, da ss keine russischen Soldaten erschossen werden. Es hei ss t nur, da ss ich nicht die Kraft habe, das Töten nebenan zu hören und mir darüber Gedanken zu machen.
Noch ehe sonst jemand die Augen auf hat, wache ich am Mor gen auf und wei ss , da ss mein Körper sich verändert hat. Ich starre ein paar Minuten hoch zur Koje über mir und frage mich, was ich gespürt habe, dann fällt es mir ein. Die kriechende Feuchte in der Wolle an meinen Beinen. Die L e ib krämpfe. Erschrocken fahre ich hoch und ziehe meine Hose herunter, um nachzusehen. Die Flecken an meinen Schenkeln sind unverkennbar. Ich habe meine Periode.
Ich schleiche mich zur Toilette hinunter und halte Ausschau nach etwas Brauchbarem, abe r es gibt keine Lappen oder Bin den, nur kleine Streifen Zeitungspapier. Seit ich aufgestanden bin, blute ich heftiger. Als ich zu den Scheinwer fern hoch schaue, ehe ich vor die Tür trete, rinnt das Blut mir am Bein entlang. Ich erinnere mich, wie Mama mir ein weic hes Stück Stoff gab und sagte: „ Da, nimm das und gib mir das an dere. Schau gar nicht hin!“ „Ja, Mama.“ Ich hörte auf ihre Worte. Sie wollte nicht, da ss mein eigenes Blut mich erschreckte.
Ich suche den Boden nach etwas ab, was den Blutflu ss auf fangen kann. Es gibt nichts. Die Kessel werden an unsere Tür gebracht; ich wei ss , da ss Danka inzwischen auf ist und sich wundert, wo ich bin.
Ich kehre zu unserer Toilette zurück und nehme ein paar Blättchen Zeitungspapier. Mic h schaudert, als ich sie an mei ner Hose abwische, um sicherzugehen, da ss sie sauber sind. Ohne weiteres Nachdenken knülle ich sie dann zusammen und stecke mir die Zeitung zwischen die Beine. Den ganzen Tag über bin ich befangen und mache mir Sorgen, was es bedeutet, hier an diesem Ort meine Periode zu haben. Mit Danka kann ich nicht darüber sprechen. Ich kann nur beten, da ss meine Ta ge nicht lange dauern und nie wiederkommen.
Heute sind mehr Mädchen in unseren Reihen; da mu ss ein Transport angekommen sein. Emma versammelt uns zur Arbeit, und wir marschieren hinaus zu einem gro ss en, offenen Feld. Ich bin dankbar, da ss dort heute keine Wagg ons und kein Sand auf uns warten, der weggekarrt werden mu ss . Mein Rücken tut mir noch weh, doch die Blutergüsse an meinem Bein sind fast verschwunden.
Ziegel liegen dort zu einem Haufen aufgetürmt. „ Ihr werdet sie auf die andere Seite des Felds tragen. Ihr mü ss t zehn Stück auf einmal nehmen! “ erklärt
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