RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Maschendraht zum Männerlager ein Skelett, das mich zu kennen scheint. Ich kann mich nicht rühren, ich kneife die Augen zusammen, starre und starre.
„ Ich bin’s, Tolek.“ Die Knochen seines Schädels scheinen aus seiner Haut herauszuragen. Seine Augen quellen über seinen Wangenknochen hervor. Er wirft einen prüfenden Blick auf den Wachturm, um sicherzugehen, dass keiner ihn sieht.
„ Tolek! Was tust du denn hier? Wie lange bist du denn schon hier?“
„Ich bin vor ein paar Tage n verhaftet worden, weil ich Leute übe r die Grenze geschmuggelt habe.“
„Haben sie dir wehgetan?“ Sein Mund redet nicht, aber seine Augen beantworten meine Frage. „Du sieh st hungrig aus “ , sage ich. „ Warte hier. Ich hole dir mein Brot. Ein Gl ück für dich, da ss i ch es noch nicht gegessen habe!“
„ Ich kann dein Brot nicht essen, Rena! “ Er wendet sich leicht ab, so da ss keiner mitbekommt, da ss wir uns unterhalten.
Ich wende mich von ihm ab. „ Du und Andrzej, ihr habt un ter Leben gerettet, Tolek. Danka und ich wären tot oder Schlimmeres, wenn du uns nic ht in die Slowakei gebracht hät test. Du bist verhaftet word en, weil du Menschen wie uns gerettet hast!“
„ Und jetzt si eh, wohin dich das geführt hat.“
„ Wir leben, und das ist genug. Du hast für diesen Weg nie Geld genommen, jetzt mu ss t du wenigstens mein erbärmliches Stück Brot annehmen. “ Ich entferne mich gegen seinen Protest. „ Ich werde es nicht an nehmen.“
In meinen Fü ss en ist wieder Hoffnung, als ich loslaufe, um Danka z u finden. Ich habe jemanden aus unserer Vergan gen heit ge sehen; wir sind nicht tot. Ich kann jemandem he lf en. Ich fühle mich nicht mehr hilflos oder der Laune eines von der deuts chen SS gelenkten Schicksals ausg eliefert. Atemlos und müde renne ich zu der Koje hoch, die Danka und ich uns teilen. „Danka! Tolek ist im Män nerla ger!“
„ Tolek? “ Leben fl ackert in ihren Augen auf. „Wo?“
„ Drau ss en. Komm. Er ist sehr hungrig. Wir werden uns heu te Abend dein Brot teilen müssen.“ Ich mache eine Pause und sehe ihr direkt in die Augen. „ Er sieht fürchterlich au s, als würde er vor Hunger umfallen. Wir müssen ihm helfen.“
„Ja, natürlich.“ In ihren Augen stehen Tränen. Wir l aufen die Treppe hinunter und hinaus auf die Lagerstra ss e, wo wir unser dürftiges Mahl hoch über den Stacheldrahtzaun werfen. Heute braucht es keinen zweiten Anlauf; es landet ihm zu Fü ss en.
„ B óg zap łać .“ Ihm bleiben die Tränen in der Kehle stecken.
„ Möge Gott es dir vergehen, Tolek“ , erwidern wir und ent fernen uns vom Zaun, weil wir keine weiteren Worte mehr riskieren dürfen.
Danka drückt meine Hand. „Er wird wieder, nicht wahr?“
„Das hoffe ich.“
Die nächsten paar Tage horten wir sorgsam unser Brot, so da ss wir Tolek, wann immer wir ihn sehen, eine Extra portion zu werfen können. Dann kommt er nicht mehr an den Zaun.
An unserem vierten Sonnta g im Lager werden wir wieder ra siert. Insgeheim hatten wir gehofft, sie würden unser Haar wieder wachsen lassen, abe r nach wochenlangem Juckreiz we gen der Stoppeln wird es wieder abrasiert. Abgesehen von den Läusen, den Wanzen und dem Haar verspüren wir irgendwo am Leib immer ein quälendes Prickeln. Ich sehne mich nach Ordnung und Sauberkeit, um mich irgendwie besser und nicht so schmutzig zu fühlen.
Es sind noch mehr Polen angekommen. Manche sind Gois und werden in anderen Blocks als wir Juden untergebracht. Sie sind besser als wir. Manche Juden kommen aus den Gettos von Krakau. Da ist ein junges Mädchen namens Janka, der wir alle zugetan sind. Sie ist gerade erst vierzehn, hatte aber den Mut, am Bahnsteig die Unwahrheit über ihr Alter zu sa gen. Es fä llt schwer zu glauben, da ss jemand, der so jung und hübsch ist , auch so gewieft sein kann. Ihr junges Leben hat aus Krieg und Getto bestanden, und ich glaube, sie kann sehr hart sein, aber Auschwitz ist ja auch ein sehr guter Ort, um Hartsein zu le rnen. Janka ist ein seltener Vog el. Sie flirtet gerne mit den Männern, und sie geben ihre Brotration für ihr Lächeln und weil sie Nachrichten von zu Hause mit bringt, und viel leicht auch, weil sie sie an ihre eigenen Töchter erinnert.
Emma, unsere Aufseherin, ist brünett. Ihr Haar ist streng nach hinten gekämmt, und sie trägt eine Babuschka. Sie ist grö ss er als die meisten von uns. Ihre Freundin Erika hat blonde Locken und ein hübsches rundes Gesicht. Sie ist schlank und mittelgro
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