RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
diese Schreie. Kein Geräusch auf Erden ist so entsetzlich.
Ich sehe hin, nur einmal. Ihre blutigen Arme schlagen wild um sich. Der Hund geht ihr an die Kehle. Vor meinen Augen sehe ich noch immer ihren Geist, der sich von ihr löst, abgetrennt von ihrem Körper durch ein Hundemaul an ihrem Hals. Dieses Bild wird nie zur Ruhe kommen.
Es gibt kein Schweigen wie dieses Schweigen … leer … still.
Der Widerhall des Todes. Ich grabe die Erde um. Danka ebenso. Die Mädchen neben um nehmen ihre Schaufel wieder auf. Keine atmet.
Wir arbeiten härter als zuvor. Wir schaufeln so schnell wir können, fast hysterisch, schneller und immer schneller. Un s ere Muskeln schmerzen. Unsere Ohren weinen mit dem Echo ihrer Schreie. Nu r die Töne der Sterbenden sind unsterblich in Auschwitz.
Der H und keucht. Der Wind knattert in ihrem Cape. Die Wärterin tätschelt ihm den Kopf. Er leckt sein e Pfote. „Guter J un ge.“ Es fängt zu regnen an. Wir sc haufeln schneller und schneller.
„ Ha lt“ Nervös weist Emma zwei von uns an, die Leiche ins Lager zu tragen. Das Mädchen sieht aus wie eine kleine Spinne, die jemand unter seinen Fü ss en zertreten hat – so dünn, so zer brechlich. I ch neh me ihre Arme. Sie sind noch nicht kalt. Sie sind klebrig. Wir marschieren. Bei jedem Schritt, den ich gehe, schlägt mir ihr Kopf in den Rücken. Mit jedem Schlag ihres Kopfes, jedem Schritt den ich gehe, zerreissen ihre Schreie meine Seele. Ich packe sie fester aus Angst, sie fallenzulassen, aus Angst, sie noch mehr zu verletzten, aus Angst…
In meinem Kopf kehrt keine Stille ein. Er ist ein einziges Schreien.
Vier Uhr morgen*.
„Raus! Raus!“
Wir wälzen uns aus der Koje. Wieder habe ich meine Periode bekommen, obwohl sie bei allen anderen weggeblieben ist. Ich eile auf die Toilette. Heute habe ich Glück; es gibt Zeitungspapier. Ich stecke mir noch zusätzliches Papier in die Tasche, ehe ich nach draussen renne, um meinen Tee in Empfang zu nehmen. Wir werden gezählt.
Vier Uhr morgens.
„Raus! Raus!“
Es ist Sonntag. Wie viele Sonntage haben wir schon mitgemacht? Wir sprechen nicht darüber. Danka und ich kratzen die Läuse ab. Es ist abscheulich, aber es ist noch schlim mer Läuse zu haben, als sie ab zukratz en. Wir gehen nach drau ss en um uns umzusehen. Es ist noch nicht warm aber der Sommer steht vor der Tür. Manche Tage sind sehr warm, aber ich frage mich, ob die Kälte jemals verschwinden wird, oder ob es hier Dauerfrost wie in Finnland gibt, der einem immer gleich unter de r Hautoberfläche sitzt.
„ Danka ! Rena!“ Wir können unseren Ohren kaum glau ben. Als wir durch den Zaun spähe n, sehen wir Tolek. Er sieht viel besser aus, dem Jungen ähnlicher, den wir kannten.
„ Wo bist du gewesen, Tolek? Wir haben uns solche Sor gen gemacht.“
„Hast du Hunger?“, will Danka wissen.
„ Nein, kein Bro t. Ich bin bei einer guten Arbei tstruppe und reinige die Latrinen. Wir bringen die Gülle auf die Felder, wo die hiesigen Bauern sie als Dünger verwenden. Es gibt da einen freundlichen Bauern, der mir, wann immer er kann, aus einer Küche was zu essen zusteckt.“
„Das ist ja wunderbar.“
„Wenn ihr nicht euer Brot mit mir geteilt hättet, wäre ich nie zu einem guten Job gekommen. Ihr habt mir die Kraft gegeben, weiterzumachen.“
„Du gibst uns auch Hoffnung, Tolek.“
„Ich werde euch was rüberwerfen.“ Das ist das Stichwort, wachsam zu sein und uns bereitzuhalten, das, was über den Zaun kommt, gleich wegzustecken. Die Wache auf dem Wachturm sieht in die andere Richtung. Die Luft ist rein. Ein gro ss es Stück echtes Brot fällt uns vor die Fü ss e. Manna vom Himmel.
„Dank dir, Tolek.“ Danka zeigt ihr wunderschönes Lächeln.
„Es riecht nach Heimat.“ Ich stecke den Laib unter mein Hemd.
„Ich danke euch beiden. Ich mu ss gehen.“ Wir sehen unseren Freund im Männerlager verschwinden.
Der Duft des hefegegorenen Brots steigt uns verwirrend in die Nase. „Komm mit, Danka, la ss uns in den Block zurückgehen und ein Fest feiern.“
Aneinandergekauert teilen wir uns das Brot. Das ist nicht dieser Sägemehl-und-Wasserteig -Mist, den die Deutschen uns geben, das ist gehaltvolles polnisches Brot, das aus der Erde kommt und von den Händen einer Bäuerin geknetet wurde. Uns läuft die Spucke im Mun d zusammen. Ich denke, der ganze Block kann es riechen. Unsere Zähne rei ss en am Teig, und unser Kiefer schmerzt, weil wir so lange nichts Festes mehr gekaut haben.
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