RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
mich ihm auf einer der zionistischen Tanzveranstaltungen vorgestellt. Es ist so lange her.
Sie nimmt meine Hand in die ihre. Ihr T rost tut mir wohl, aber ich bringe es nicht ü ber mich, ihr von ihren Eltern zu erzählen. Schwer vor Müdigkeit fallen ihre Augen zu, und mein Blick fällt noch einmal auf ihre brandigen Beine.
„Du brauchst Medizin“, sage ich ihr. „Ich habe dir etwas von meinem Brot mitgebracht. Hier, teil es mit mir.“ Ich teile mein Stück und gebe es ihr. „Möchtest du, dass ich dir etwas Wasser hole?“ Sie schüttelt den Kopf. „Es wird alles gut werden, Gizzy, du wirst schon sehen. Ich werde dir etwas für deine Knöchel besorgen und wir bekommen ein paar Schuhe für dich, damit die Schnitte an deinen Füssen sich nicht infizieren und du nicht frierst … Wir sollten eine Arbeit für dich finden, die drinnen ist.“ Tröstend streiche ich ihr über die Hand. „Ich muss zurück. Es wird spät. Ich sehe dich morgen nach dem Anwesenheitsappell .“
„ Hab Dank für das Brot , Rena. Grüss Danka von mir.“
„ Morgen geht es dir s chon besser“, sage ich ihr, ehe ich hin aus in die Winternacht tre te. Meine Augen brennen in dem grausamen Wind und werden nass. Ungebeten strömen mir die Tränen über die Wangen. Ich unterdrücke sie nicht. Ich w eiss nicht, wie lange e s her ist, seit ich geweint hab e, und ich bin mir nicht einmal sicher, dass man das Weinen nen nen kann. Es ist lautlos; meine Augen sind wie Ströme, und ich kann den Fluss nicht eindämmen.
Es gibt so vieles zu betrauern, da ss ich gar nicht wei ss , worüber ich weine. Auf dem Weg z urück zum Block weine ich über Scha nis Tod. Ich weine, weil es keine Hochzeit mehr geben wird, und mir fäl lt wieder ein, da ss ich daran noch geglaubt habe, als ich anfangs hierhe rkam. Ich weine um mich und mei ne Schwestern. Ich weine um Gizzy und Tante Regina und On kel Jako b . Ich weine, weil es dunkel ist und keiner mich sehen kann. Ich weine, weil es keinen Grund gibt, es nicht z u tun.
Vier Uhr morgens.
„ Raus! Raus! “
Mein Gesicht ist rauh von den Tränen, die ich ges tern Ab end heimlich vergossen habe. Ich wünschte, ich hatte eine Creme, um meine Wangen zu gl ä tten und vor der Witterung zu schützen. Danka und ich trinken unseren Tee und stellen uns in die Reihen, die schon zum App ell antreten. In der Nacht ist e s kälter geworden, und die Wolken, die den Himmel bedeckt und die schneeige Wärme gespeichert hatten, sind verschwunden. Über unseren K öpf en glitzern die Sterne wie helle Eiszapfen, die gleichgültig vom Himmel hän gen. Ich stampfe mit den Fü ss en. Die SS marschiert unser e ordentlichen Reihen auf und ab , zählt, schlägt, zählt. Die Stunden schleppen sich dahin. Der Himmel verändert sich nicht. Ich lasse meinen Blick über die Reihen schweifen, weil ich hoffe, Gizzy zu entdecken, aber die Chance, ihr Gesicht unter so vielen zu finden, ist gering. Der Appell ist beendet.
„ Ich werde Gizzy suchen und in Emmas Gruppe ho len“ , flüstere ich Danka zu und mache dann rasch kehrt, um meine Suche aufzunehmen. Doch ich kann sie nirgends sehen. Ich ge he den gestrigen Weg zurück zu ihrem Block und finde sie drau ss en gegen die Wand gelehnt. Dorthin bringen sie die Menschen, die am Sterben s ind, so kann man sie aus dem La ger entfernen.
„Gizzy. Ich bin’s, Rena.“ Ich lasse mich in den Schnee fallen und ziehe sie in meine Arme, versuche die Kälte fernzuhalten. Ihr Atem tönt wie Kastagnetten. Ich drücke sie leicht, versuche sie zu wärmen, versuche sie vor dem Wind zu schützen. „ Komm schon, Gizzy, mach wei ter... Kämpf dagegen an.“ Während ich ihren schlaffen Körper hin und her wiege als wäre sie ein Neugeborenes, sage i ch ihr immer und immer wieder: „ D u mu ss t leben. Du mu ss t leben ...“ Ihre Knochen graben sich in meine. „ Du wirst sehen , Gizzy, alles wird gut werden.“
Es rasselt noch einmal in ihrer Brust. Ein letztes Keuchen. Sie atmet nicht mehr.
Ich kann nicht von ihrem Körper ablassen. Als stürzte ich mich auf die Klagemauer in Jerusale m, wiege ich sie und wei ne. Mein Herz schreit.
Meine innere Uhr warnt mich, da ss es Zeit ist, arbeiten zu gehen.
Ich bette Gi zzys kalten Leib sanft auf den B oden, drü cke ei nen Ku ss auf meine Hand und lege sie auf die Braue meiner Cousine. „Leb wohl“ , flüstere ich, ehe ich zurück durch den Schnee stolpere. Die Tränen, die mir an den Wangen kleben, frieren sofort fest; sie sind bitter, schmecken
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