RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
am Morgen einen Kessel voll Tee herein, und dann beginnt das Warten.
Mittags bekommen wir Suppe serviert, und den ganzen Nachmittag sitzen wir und warten auf das Abendessen. Das einzige, was wir hören, sind unsere knurrenden Mägen. Ich bin dankbar, da ss wir nicht arbeiten müssen, und versuche diese kurze Unterbrechung zu nutzen. Wir haben keine Lust, mit den anderen zu reden, un d ihnen ist nicht nach einem Ge spräch mit uns. Am ersten Tage in der Quarantäne schlafen wir nur.
Am zweiten Tag sind wir nicht mehr so müde und gehen im Raum umher, stellen Fragen, unterhalten uns, fragen laut, warum wir hier sind und wie lange sie uns hierbehalten wer den. Ich habe die Hoffnung, da ss es ein Kommando ist, das unter einem Dach arbeitet. Es wäre gut, die kal ten u nd regneri schen Tage nicht im Freien sein zu müssen. Au ss erdem ho ffe ich, da ss es kein Kommando wie das von Fela und Erna ist, ei ne Arbeit, über die man nicht reden darf.
Danka driftet in ihre eigene Welt ab. Ich sehe, da ss sie keine Notiz von ihrer Umgebung nim mt - das ist ihre Art zu überle ben. Ich achte inzwischen auf jedes bi ss chen Information, das ich bekommen kann: Das ist meine Art zu überleben - immer wachsam sein.
„ Vielleicht we rden wir in der Küche arbeiten!“, sagt eins der Mädchen.
„ Oh, was könnten wir in der Küche alles es sen!“
„ Ich frage m ich, was sie uns machen lassen?“
„ Könnte alles sein. Besser, gar nicht daran den ken.“
Ein weiteres Mädchen schaltet sich ein, doch ihre Bemerkung richtet sich eher an das Fenster als an jemanden von uns.
„ Wenigstens sind wir nicht drau ss en. Das Wet ter ist schrecklich heute.“
Wir reden nicht viel miteinander. Die Gespräche sind kurz; wir sind zu erschöpft, und wir haben einfach gelernt, da ss es besser ist, sich nicht mit Menschen anzufreunden, die gleich sterben können. Es gibt kein schwesterliches Mitgefühl oder Verständnis. Wenn wir über etwas spre chen, dann darüber , woher wir kommen, aber selbst das ist zu schmerzhaft. Wir schlafen. Wir trinken unsere n Tee. Wir schlürfen unsere Sup pe. Wir kauen unser Brot. Wir warten.
Am dritten Tag sind wir alle gereizt und gehen einander auf die Nerven. Das Unbekannte zehrt den Rest unserer Moral auf. Mädchen, die sich eine Pritsche teilen, geraten sich in die Haare. Die Ruhe hat uns gut getan; bei dem wenigen, was wir zu essen kriegen, sind wir zwar noch immer hung rig, aber we nigstens verbrennen wir nicht alles bei harter Arbeit. Wir nehmen nicht zu, aber wir verlieren auch nicht an Gewicht.
„Raus! Aufstellen!“ Es ist der vierte Morgen. Ei ne Krankenschwester kommt zu uns. Wir fol gen ihr, ver lassen den Quarantäneblock und gehen durchs Lager auf ein anderes Gebäude zu . Auf dem Schild über der Tür steht gro ss SAUNA. Drinnen weist die Aufsehe rin uns an: „ Ihr legt eure alten Kleider hier auf einen Haufen. Ihr braucht sie nicht mehr. Dort auf dem Tisch liegen neue Unifor men. Schnell!“
Nackt treten wir an den T isch, nehmen uns die neuen Uni formen in Einheitsgrö ss e und z iehen sie uns über. Sie sind ge nau wie unsere blau-grau gestreif ten Kleider rauh wie unbenü tzte s Sandpapier.
„Zieht auch diese Schürzen an!“ Wir binden uns saube re, wei ss e, gebügelte Schürzen um, als wir uns wieder aufstellen, und verlassen in Zweierreihen das Gebäude. Wir marschieren durch das gesamte Lagergelä nde, vorbei an den anderen Frau en im Lager, die sich schon zum Morgen appell aufgestellt ha ben. Das nächste Gebäude, das wir betreten, liegt mitten im Lager; es ist ein kleines Gebäude gegenüber von unseren Blöcken. Sein einziger Rau m ist Mengeles Büro. Drinnen be fiehlt uns die Schwester, die Arme auszustrecken, damit die Se kretärin jede unserer Nummern in eine Liste eintragen kann.
„ 1 716“, wiederholt sie leise, „2779“ . Es ist seltsam, da ss wir keine Nummern auf unseren Uniformen haben. Als wir wieder drau ss en sind, stellen wir uns in zehn or dentlichen Fünferrei hen auf, formen unsere neue, exklusive Arbeitseinheit.
Ich frage mich, wo Emma i st; ich frage mich, ob ihr über haupt auffällt, da ss Danka und ich weg sind.
Es ist merkwürdig, dem üblichen Anwesenheitsap pell zuzu sehen, ohne dazuzugehören. Unglaublich, was für ein Meer an Frauen vor uns steht, nie habe ic h so viele Men schen auf ei nem Platz gesehen. Sie sehen so elend aus, so verloren und nie dergeschlagen. Die Worte „ Wir sind zu viele “ hallen wie ein Echo durch meine
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