Renate Hoffmann
nicht unterstützt hatte. Doch eigentlich wusste Frau Hoffmann die Antwort auf diese Fragen. Es klopfte ein weiteres Mal. Es war die Engstirnigkeit ihrer Eltern gewesen, die es sie nicht hatte akzeptieren lassen, dass ihre Tochter sich etwas Anderes vom Leben erwartete, als sie es sich für sie ausgemalt hatten. Frau Hoffmann wischte mit dem Handrücken über ihre Wange. Es klopfte ein drittes Mal, dann öffnete Herr Hofer unaufgefordert die Tür und betrat den Raum.
Kapitel 43
„Beruhigen Sie sich...“, sagte Herr Hofer und streichelte sanft über Frau Hoffmanns Rücken. Er nahm ihr den Hörer aus der Hand und legte ihn auf die Gabel, dann schob er einen Stuhl neben den, auf dem Frau Hoffmann kauerte und setzte sich zu ihr. Sie schaute in seine dunklen Augen. Sein Gesichtsausdruck war eine zauberhafte Mischung aus Überforderung, dem Anflug von Verzweiflung und ehrlicher Fürsorge. Es hatte nicht viele Menschen in Frau Hoffmanns Leben gegeben, die sie mit diesem Ausdruck angesehen hatten. Im Grunde hatte es nur einen gegeben.
„Wollen Sie vielleicht einen Schluck trinken?“, fragte Herr Hofer und stand auf, ohne auf eine Antwort von Frau Hoffmann zu warten. Er steuerte zum Waschbecken, nahm eines der Gläser, das auf der Ablage rechts daneben stand und ließ kaltes Wasser hineinlaufen. Als er zu ihrem Schreibtisch zurückkam, stieg er beinahe versehentlich auf den Brief, der Frau Hoffmann zuvor vor Schreck auf den Boden gefallen war. Er reichte ihr das Wasserglas, bückte sich, hob ihn auf und legte ihn vor Frau Hoffmann auf den Tisch.
„Weinen Sie deswegen?“, fragte Herr Hofer und zeigte auf den Brief, den er eben aufgehoben hatte. Frau Hoffmann nickte. „Darf ich fragen, von wem er ist?“, fragte Herr Hofer vorsichtig und legte noch vorsichtiger seine Hand auf ihre. Frau Hoffmann räusperte sich. Unter ihren heftigen Schluchzern, brachte sie nur ein einziges Wort heraus, und das war Herbert. „Von Herbert also...“, sagte Herr Hofer sanft. „Und wer ist Herbert?“
Frau Hoffmann nahm einen Schluck Wasser und versuchte tief zu atmen. „Er war mein Verlobter...“, antwortete sie schluchzend.
„Hat er Sie etwa in diesem Brief verlassen?“, fragte Herr Hofer entsetzt.
Frau Hoffmann schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn schon vor Jahren verlassen...“, sagte Frau Hoffmann, nun ein wenig ruhiger. Herr Hofer schaute sie verständnislos an. „Er ist seit zehn Jahren mit meiner Schwester verheiratet.“
„Verstehe...“, sagte Herr Hofer sechsunddreißig Minuten später. Er wirkte nachdenklich. Frau Hoffmann saß regungslos auf ihrem Stuhl, umgeben von Taschentuchfetzen. „Werden Sie denn fahren?“ Frau Hoffmann zuckte mit den Schultern. „Ich könnte mich ja täuschen...“, sagte Herr Hofer betont vorsichtig, „...aber das alles scheint Sie ja doch sehr aufzuwühlen.“ Frau Hoffmann musste unvermittelt schmunzeln. Sie empfand es als sehr taktvoll und überaus höflich ihren halbstündigen Heulkrampf auf diese Art zu umschreiben. Nach längerem Schweigen fragte Herr Hofer, während er seine Hand tröstend auf Frau Hoffmanns legte, „Wie war eigentlich sein Name?“
Frau Hoffman schaute Herrn Hofer lange an. „Von wem sprechen Sie?“, fragte Frau Hoffmann um Zeit zu gewinnen.
„Wie war der Name des Mannes, der vor sieben Jahren tödlich verunglückt ist...“, fragte er leise. Herr Hofer schien zu wissen, dass Frau Hoffmann sofort gewusst hatte, wessen Namen er gemeint hatte. Er schien zu wissen, dass sie genau in diesem Augenblick abwägte, ob sie ihm antworten wolle oder nicht.
Frau Hoffmann holte tief Luft, dann sagte sie, „Sein Name war Henning...“
Kapitel 44
Renate schaute prüfend auf ihren Einkaufszettel, dann ging sie in Richtung Kühlregal. Bei den Konserven traf sie auf Frau Hartmann, die sie auf ihre bevorstehende Hochzeit ansprach, ein Thema, das Renate wann immer es ging zu vermeiden suchte. Es sei eine Schande, dass es keine offizielle Verlobungsfeier gegeben habe, sie wäre schließlich so gerne Zeugin dieses wunderbaren Augenblicks geworden. Renate lächelte verkrampft. Zu ihrer größten Erleichterung tauchte zwei Regale entfernt Frau Meier auf, mit der Frau Hartmann fast täglich über ihren Gartenzaun hinweg tuschelnde Gespräche zu führen pflegte, weswegen sich letztere entschuldigte und verschwand.
Als sie ihn zum ersten Mal sah, war sie gerade dabei gewesen, vier Liter Milch und zwei Becher Sahne in ihren Wagen zu stellen. Wie gebannt starrte
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