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Renate Hoffmann

Renate Hoffmann

Titel: Renate Hoffmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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sie ihn an. Er war das, was man gemeinhin als unerwünscht bezeichnete. Oder als Schandfleck. Er trug verwaschene, zerschlissene Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit einem Aufdruck auf der Vorderseite. Was der genau darstellen sollte, konnte Renate nicht erkennen. Ein beträchtlicher Teil seiner stämmigen, muskulösen Arme war von zahlreichen Tätowierungen bedeckt. Seine Haut glich einem seltsam schönen Kunstwerk. Er trug einen großen Ring und Ohrringe. Und als wäre das alles noch nicht schon genug gewesen, hing seinen bulligen Rücken ein langer Pferdeschwanz hinunter.
    Sein Einkaufswagen schien winzig im Vergleich zu seiner schrankartigen Statur. Er war mindestens zweieinhalb Köpfe größer als Renate, und mindestens einen Kopf, als jeder Mann, den Renate in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Seine dunkelbraunen Haare sahen seidig weich aus, was Renate erstaunte, weil es ihrer Ansicht nach nicht zu seinem Image passte, dermaßen gepflegtes Haar zu haben.
    Als er langsam hinter einem Regal mit Hygieneartikeln verschwand, ertappte Renate sich dabei, wie sie ihm fast schon unwillkürlich folgte. Sie war sich sicher, dass ein Mann wie er ausschließlich von Tiefkühlprodukten und Alkohol lebte. Als er gerade nicht hinsah, studierte Renate den Inhalt seines Einkaufswagens, und zu ihrer größten Verwunderung entdeckte sie anstelle von Vodka Gorbatschow, Bier und Pizza, Nudeln, einen Bund Frühlingszwiebeln, Tomatensaucen, eine Gurke, zwei Liter Milch, einen Viererpack Küchenrolle, Datteltomaten, französischen Weichkäse und dreilagiges Toilettenpapier, also vollkommen normale Dinge. Als sie wieder hoch sah, bemerkte sie erst, dass der Fremde sie interessiert musterte. Weil Renate gelernt hatte, dass es sich nicht gehörte Leute anzustarren, widmete sie sich wieder ihrem Einkaufszettel und verschwand hinter dem nächsten Regal.
    An der Kasse stand sie hinter ihm. Er war wie ein Fels, oder ein Bär. Jedenfalls wie etwas, das groß, stark und beschützend auf sie wirkte. Als Renate ihre Einkäufe auf das Rollband legte, trafen sich ihre Blicke. Seine großen braunen Augen schienen sie anzulächeln, noch bevor es seine Lippen taten. Eine Reihe schöner Zähne strahlte ihr entgegen. Renate versuchte wegzusehen, doch es gelang ihr nicht. Sein Gesicht war viel zu sanft und lieb für das eines Schandflecks.
    Erst als die Kassiererin sich übertrieben räusperte, schaute Renate verlegen weg. Während sie ihre restlichen Besorgungen auf dem Band verteilte, spürte sie seine Blicke auf sich. Sie schaute ein letztes Mal zu ihm hinüber und lächelte ihn schüchtern an. Er nahm das Toilettenpapier und die zwei Tüten, die in seinen riesigen Händen lächerlich klein aussahen, zwinkerte Renate zu und verließ den Supermarkt. Renate schaute ihm nach. Als seine schrankartigen Schultern langsam immer kleiner wurden, erfüllte sie plötzlich die traurige Gewissheit, dass sie ihn vermutlich nie wieder sehen würde.
    Und auch, wenn Renate das natürlich niemals öffentlich zugegeben hätte, so hatte sie noch nie in ihrem ganzen Leben einen so anziehenden Mann gesehen.
     
Kapitel 45  
    Die gesamten kommenden Wochen erklärte sich Renate freiwillig dazu bereit, die Einkäufe für ihre Mutter zu erledigen. Natürlich tat sie das nicht, weil ihr sie Lust hatte einkaufen zu gehen, sondern weil sie insgeheim hoffte den tätowierten Fremden wieder zu sehen. Renate kannte dieses Gefühl nicht. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie so empfunden. Sie war ohne ersichtlichen Grund nervös, was sie für gewöhnlich nie war, wenn sie an ihn dachte hämmerte ihr Herz so stark gegen ihre Rippen, als wäre sie gerade einen Marathon gelaufen, und wenn sie unter der Dusche stand sang sie verträumt vor sich hin. Das mag auf viele Menschen zutreffen, doch Renate hatte bis dahin keinen Grund gesehen unter der Dusche zu singen. Sie hatte schweigend geduscht. Zumindest bis jetzt. Ihr Magen rumorte, wenn sie dann etwas aß, wurde ihr schlecht oder sie brachte kaum etwas hinunter. Sie war sich darüber nicht wirklich im Klaren, was mit ihr los war, vielleicht, weil es sich so neu und fremdartig anfühlte, doch sie konnte nicht aufhören an ihn zu denken. Sie fragte sich, ob er wohl eine tiefe, brummige Stimme hatte, eine Stimme die zu seiner Statur passte. Sie stellte sich seine braunen Augen vor und sein seidig schimmerndes Haar.
    Zwei Wochen später, Renate hatte es eigentlich schon aufgegeben, den Fremden wieder zu sehen, spazierte sie über den

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