Rendezvous im Hyde Park
ein vollkommen lächerliches Wort. Er hatte vor, es aus seinem Wortschatz zu streichen.
Olivia zuckte auf die ihr eigene, sehr hübsche Art mit den Schultern. „Es kommt mir sehr langatmig vor", sagte sie.
„Die Beschreibungen sind schier endlos."
Sebastian nickte nachdenklich. „Ich halte es auch nicht für Mrs Gorelys größten Wurf." Mit der letzten Version war er nie vollkommen zufrieden gewesen, aber natürlich fand er Olivias Kritik ganz und gar ungerechtfertigt.
Von wegen mühsame Lektüre. Pah. Olivia würde ein gutes Buch auch dann nicht erkennen, wenn es ihr auf den Kopf fiel.
Annabel brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass Louisa nicht gescherzt hatte, als sie von Lady Olivia Valentine und ihrer atemberaubenden Schönheit geredet hatte. Als sie sich zu ihnen umdrehte und lächelte, hatte Annabel tatsächlich blinzeln müssen, so strahlend war das Lächeln gewesen. Die junge Frau war unglaublich attraktiv - blondes Haar, milchweiße Haut, hohe Wangenknochen und umwerfend blaue Augen.
Annabel hatte Mühe, sie nicht gleich aus Prinzip zu hassen. Und dann, als wäre die Begegnung nicht schon schlimm genug (eigentlich reichte ihr schon die bloße Tatsache, dass sie und Mr Grey sich über den Weg gelaufen waren), musste er auch noch hingehen und ihr die Hand küssen.
Was für eine Katastrophe!
Annabel war vollkommen durcheinander, stammelte irgendetwas, was in einer sehr frühen Zivilisation möglicherweise als Begrüßung hätte durchgehen können. Sie hob dann tatsächlich kurz den Blick, da selbst sie wusste, dass man nicht die gesamte Zeit auf den Boden starren konnte. Doch es war ein Fehler. Ein Riesenfehler. Mr Grey, der schon im Mondschein recht gut ausgesehen hatte, war bei Tageslicht unglaublich schön.
Lieber Himmel, man sollte ihm verbieten, mit Lady Olivia spazieren zu gehen. Ihre vereinte Schönheit würde die guten Londoner Bürger am Ende noch blenden.
Entweder das, oder sie würden den Rest der Menschheit dazu verdammen, weinend ins Bett zu sinken, weil wirklich keiner mit ihnen mithalten konnte.
Annabel versuchte der Unterhaltung zu folgen, doch sie war viel zu abgelenkt von ihrer Panik. Und von Mr Greys rechter Hand, die locker auf seinem Bein lag. Und von seinen verschmitzten Lippen, die sie angestrengt nicht zu beachten versuchte, doch sie hatte sie am Rand ihres Blickfelds. Ganz zu schweigen vom Klang seiner Stimme, wenn er etwas über ... nun ja, wenn er etwas sagte.
Bücher. Sie sprachen über Bücher.
Annabel hielt sich zurück. Sie hatte das fragliche Buch nicht gelesen, außerdem hielt sie es für das Beste, in diesem Gespräch so wenig wie möglich in Erscheinung zu treten.
Mr Grey warf immer wieder verstohlene Blicke in ihre Richtung, da schien es dumm, ihm Anlass zu geben, sie offen zu betrachten.
Natürlich wandte er sich in genau diesem Augenblick an sie, sah sie mit diesen verdammten grauen Augen an und fragte: „Und was ist mit Ihnen, Miss Winslow? Haben Sie schon mal ein Buch von Mrs Gorely gelesen?"
„Leider nein."
„Oh, du musst, Annabel", rief Louisa aufgeregt. „Du wirst begeistert sein. Wir gehen heute noch in einen Buchladen.
Ich würde dir ja meine ausleihen, aber sie sind alle zu Hause in Fenniwick."
„Haben Sie denn die gesammelten Werke, Lady Louisa?", erkundigte sich Mr Grey.
„O ja. Bis auf Miss Truesdale und der stille Gentleman natürlich. Aber dem wird umgehend abgeholfen werden."
Sie wandte sich wieder an Annabel. „Was haben wir heute Abend vor? Hoffentlich etwas, was wir ausfallen lassen können. Ich wünsche mir nichts mehr als eine Tasse Tee und mein neues Buch."
„Ich glaube, wir wollten in die Oper", erwiderte Annabel.
Louisas Familie verfügte über eine der besten Logen in der Oper, und Annabel freute sich schon seit Wochen darauf, eine Aufführung zu besuchen.
„Wirklich?", fragte Louisa mit bemerkenswertem Mangel an Begeisterimg.
„Sie würden lieber zu Hause bleiben und lesen?", fragte Mr Grey.
„Oh, natürlich. Würden Sie das nicht auch vorziehen?"
Annabel betrachtete ihre Cousine mit einer Mischung aus Überraschung und Ungläubigkeit. Normalerweise war Louisa so schüchtern, und nun stand sie hier und diskutierte mit einem der notorischsten Lebemänner Londons über Romane.
„Das hinge wohl von der Oper ab", sagte Mr Grey gedankenvoll. „Und dem Buch."
„Die Zauberflöte11, teilte Louisa ihm mit. „Und Miss Truesdale."
„Die Zauberflöte ?", rief Lady Olivia aus. „Die habe ich letztes Jahr
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