Rendezvous im Hyde Park
nur noch mehr zu amüsieren. Er legte den Kopf schief und sah sie an, der Inbegriff eines englischen Gentlemans. „Ich freue mich schon sehr darauf, Sie heute Abend wiederzusehen."
„Tatsächlich?"
Er lachte. „Wie beißend Sie das sagen! Direkt zwiebelig."
„Zwiebelig", sagte sie ausdruckslos. „Wahrhaftig."
Er beugte sich vor. „Warum, so frage ich mich, haben Sie etwas gegen mich?"
Annabel warf ihrer Cousine einen panischen Blick zu.
„Sie kann mich nicht hören", sagte er.
„Woher wollen Sie das denn wissen?"
Er blickte zu Louisa und Lady Olivia hinüber, die nun neben Frederick knieten. „Die beiden sind viel zu beschäftigt mit dem Hund. Obwohl..." Er runzelte die Stirn. „Wie Olivia in ihrem Zustand jemals wieder auf die Füße kommen will, ist mir ein Rätsel."
„Das geht schon", sagte Annabel, ohne nachzudenken.
Er sah sie mit erhobenen Brauen an.
„Sie ist noch nicht allzu weit fortgeschritten."
„Normalerweise würde ich annehmen, dass hier die Stimme der Erfahrung spricht, aber ich weiß ja, dass Sie keine Erfahrung haben, außer mir, ich ..."
„Ich bin das älteste von acht Geschwistern", fuhr Annabel ihn an. „Meine Mutter war während meiner gesamten Kindheit in anderen Umständen."
„Eine Erklärung, die ich nicht in Betracht gezogen habe", gab er zu. „Ich hasse es, wenn das passiert."
Annabel hätte ihn gern verabscheut. Wirklich. Aber er machte es ihr sehr schwer, mit seinem schiefen Grinsen und dem zurückhaltenden Charme. „Warum haben Sie Louisas Einladung in die Oper angenommen?", fragte sie.
Ausdruckslos sah er sie an, obwohl sie wusste, dass sein Gehirn in dreifacher Geschwindigkeit arbeitete. „Es ist die Loge der Fenniwicks", sagte er, als erklärte das alles. „Einen so guten Platz werde ich wohl nie wieder bekommen."
Das stimmte. Louisas Tante hatte sich begeistert über die Loge geäußert.
„Und Sie haben so elend dreingeschaut", fügte er hinzu.
„Da fiel es mir natürlich schwer zu widerstehen."
Sie warf ihm einen bösen Blick zu.
„Ehrlichkeit in allen Dingen", spöttelte er. „Das ist mein neuer Wahlspruch."
„Ihr neuer Wahlspruch?"
Er zuckte mit den Schultern. „Seit heute Nachmittag."
„Bis heute Abend?"
„Gewiss bis ich die Oper erreicht habe", erklärte er mit boshaftem Lächeln. Als sie das Lächeln nicht erwiderte, fügte er hinzu: „Nun kommen Sie, Miss Winslow, Sie haben doch bestimmt Sinn für Humor."
Annabel hätte beinahe aufgestöhnt. Es gab so viele Gründe, warum dieses Gespräch nicht amüsant war, dass sie gar nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Es gab so viele Gründe, warum es nicht amüsant war, dass es beinahe amüsant war.
„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen", sagte er leise.
Sie sah auf. Seine Miene war ernst geworden. Nicht düster, nicht schwermütig, einfach nur ernst.
„Ich werde nichts sagen", versprach er.
Irgendwie wusste sie, dass es die Wahrheit war. „Danke." Er beugte sich herab und küsste noch einmal ihre Hand.
„Ich glaube, dass dieser Dienstag ein wunderbarer Tag ist, um Bekanntschaft mit einer jungen Dame zu schließen."
„Heute ist Mittwoch", erwiderte sie.
„Wirklich? Mit Daten komme ich immer durcheinander.
Es ist mein einziger Makel."
Am liebsten hätte sie gelacht. Aber sie wagte es nicht, Aufmerksamkeit zu erregen. Louisa und Lady Olivia waren immer noch ins Gespräch vertieft, und je länger die beiden abgelenkt waren, desto besser.
„Sie lächeln", stellte er fest.
„Nein."
„Sie wollen aber. Um Ihre Mundwinkel zuckt es."
„Das stimmt nicht!"
Er grinste sie spitzbübisch an. „Jetzt schon."
Der Schuft hatte recht. Binnen kürzester Zeit war es ihm gelungen, sie zum Lachen zu bringen - beziehungsweise zum Lächeln, damit sie nicht lachen musste.
War es da ein Wunder, dass sie ihn gebeten hatte, sie zu küssen?
„Annabel!"
Erleichtert drehte Annabel sich um, als sie Louisas Stimme hörte.
„Meine Tante winkt uns zu sich", sagte Louisa, und tatsächlich kam Lady Cosgrove mit strenger Miene über das Gras auf sie zu.
„Vermutlich billigt sie es nicht, dass Sie mit mir plaudern", meinte Mr Grey, „obwohl Olivias Anwesenheit doch wohl ausreichen sollte, um mich tragbar zu machen."
„So ehrbar bin ich nun auch wieder nicht", erklärte Lady Olivia.
Vor Schreck blieb Annabel der Mund offen stehen.
„Sie ist völlig ehrbar", flüsterte Louisa hastig Annabel zu. „Sie ist nur, ach, vergiss es."
Wieder einmal wusste jeder alles über jeden.
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