Rendezvous im Hyde Park
Bis auf Annabel.
Annabel seufzte nur. Bildlich gesprochen. In einer so kleinen Gruppe konnte sie nicht seufzen, das wäre sehr ungehobelt gewesen. Aber sie hätte gern geseufzt. Irgendetwas in ihr fühlte sich an, als würde es seufzen.
Dann hatte Lady Cosgrove sie erreicht und nahm Louisa sofort beim Arm. „Lady Olivia", sagte sie mit einem freundlichen Nicken. „Mr Grey."
Sie erwiderten den Gruß, Mr Grey mit einer eleganten Verneigimg und Lady Olivia mit einem Knicks, der so anmutig war, dass es verboten gehörte.
„Ich habe Lady Olivia und Mr Grey eingeladen, uns heute Abend in die Oper zu begleiten", erklärte Louisa.
„Natürlich", erwiderte Lady Cosgrove höflich. „Lady Olivia, bitte grüßen Sie Ihre Mutter von mir. Ich habe sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen."
„Sie ist ein wenig erkältet", erwiderte Lady Olivia, „aber inzwischen auf dem Weg der Besserung. Sie würde sich bestimmt sehr freuen, wenn Sie ihr einen Besuch abstatteten."
„Vielleicht tue ich das."
Interessiert verfolgte Annabel das Gespräch. Lady Cosgrove hatte Mr Grey nicht geschnitten, doch es war ihr gelungen, nach der Begrüßung kein Wort mehr an ihn zu richten. Das war merkwürdig. Sie hätte nicht gedacht, dass er eine solche persona non grata war. Schließlich war er der Erbe eines Earltitels, selbst wenn es nur mutmaßlich war.
Sie würde Louisa danach fragen müssen. Aber erst musste sie sie wegen der Operneinladung umbringen.
Es wurden noch ein paar Nettigkeiten ausgetauscht, aber es war klar, dass Lady Cosgrove ihre Schutzbefohlenen um sich zu scharen und den Schauplatz umgehend zu verlassen gedachte. Ganz zu schweigen von Frederick, der aussah, als würde er im Gebüsch gern ein Geschäft erledigen.
„Bis heute Abend", sagte Mr Grey und beugte sich noch einmal über ihre Hand.
Annabel versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihr Arm bei der Berührung seiner Lippen zu prickeln begann. „Bis heute Abend", wiederholte sie.
Und während sie ihm nachsah, konnte sie sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt so auf etwas gefreut hatte.
Sebastian war selbst überrascht darüber, wie sehr er sich auf die Oper an diesem Abend freute.
Nicht dass er nicht gern in die Oper gegangen wäre, das tat er, auch wenn er die Zauberflöte inzwischen so oft gesehen hatte, dass er die Arien der Königin der Nacht inzwischen auswendig aufsagen konnte.
Ein weiterer Punkt, den er auf seiner Liste sinnloser Talente vermerken konnte.
Er war sich nicht sicher, warum die Theaterkompanien Britanniens darauf bestanden, dieselbe Oper wieder und immer wieder zu spielen. Vielleicht geschah es den vielen Engländern zuliebe, die zu störrisch waren, eine Fremdsprache zu lernen. Sebastians Meinung nach war es einfacher, einer Komödie zu folgen als einer Tragödie. Zumindest wusste man meist, wann man lachen sollte.
Doch so sehr er sich darauf freute, die Oper aus der erstklassig gelegenen Loge der Fenniwicks zu verfolgen, noch mehr freute er sich darauf, sie zu sehen.
Miss Winslow. Miss Annabel Winslow. Annabel.
Der Name gefiel ihm. Er hatte etwas ländlich Frisches an sich, etwas, das sauber roch, wie Gras.
Er kannte nicht viele Frauen, die einen derartigen Vergleich schmeichelhaft gefunden hätten, aber irgendwie glaubte er, dass Miss Winslow es als Kompliment auffassen würde.
Darüber hinaus wusste er fast nichts von ihr, abgesehen von der Tatsache, dass sie mit der Tochter eines Herzogs befreundet war. Für eine junge Dame, die es in der Gesellschaft zu etwas bringen wollte, war dies ein kluger Schachzug, doch Miss Winslow und Lady Louisa wirkten, als wären sie ehrlich gern zusammen.
Noch ein Punkt, der für Miss Winslow sprach. Leute, die Freundschaft heuchelten, nur um sich einen Vorteil zu verschaffen, hatte er noch nie ausstehen können.
Er wusste auch, dass sie einen unerwünschten Verehrer hatte. Das war nichts Ungewöhnliches; wenn eine Dame halbwegs gut aussah und/oder vermögend war, hatte sie meist den einen oder anderen unerwünschten Verehrer.
Schon interessanter war, dass sie tatsächlich vom Ball davongelaufen war, um dem Mann zu entkommen. Das konnte heißen, dass der Mann besonders ekelhaft war. Oder dass sie zu närrischem Benehmen neigte. Oder dass der Verehrer sich ihr unsittlich genähert hatte. Oder dass sie überreagiert hatte.
Auf dem Weg zum Opernhaus ließ Sebastian sich die verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf gehen. Wenn er die Geschichte schriebe (und er tat
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