Rendezvous im Hyde Park
nicht von vornherein ab, dass dies einmal geschehen könnte, das Ganze klang tatsächlich so, als stammte es aus einem Gorely-Roman), wie würde er es gestalten?
Der Verehrer müsste grässlich sein. Sehr reich, vielleicht mit einem Titel - jemand, der Druck auf ihre bitterarme Familie ausüben konnte. Nicht dass er irgendeine Ahnung hatte, ob Miss Winslows Familie bitterarm war, aber so klang die Geschichte einfach besser.
Er würde dafür sorgen, dass sie in einer dunklen Ecke, abseits der Gesellschaft, angegriffen wurde. Nein, das ging nicht. Für ein derartiges Drama wäre es noch zu früh im Roman, und vermutlich wäre es für sein Publikum auch zu grell. Seine Leser wollten nicht direkt dabei sein, wie eine Frau ungewollte Avancen abwehren musste; sie lasen lieber, wie die Leute hinterher darüber tratschten.
Zumindest hatte ihm sein Verleger das erzählt.
Na schön, wenn sie nicht angegriffen worden war, war sie vielleicht erpresst worden. Sebastian wurde munter. Er-pressimg war immer gut. Bei ihm gab es fast in jeder Geschichte eine.
„Heda!"
Sebastian blinzelte und sah auf. Er hatte nicht bemerkt, dass sie das Opernhaus inzwischen erreicht hatten. So unangenehm das auch war, hatte er eine Droschke genommen, denn er hielt sich keine eigene Kutsche und hatte Olivias Angebot abgelehnt, ihn abzuholen. Er hatte den nicht mehr ganz frisch Vermählten ein wenig Zeit für sich geben wollen.
Harry würde es ihm später danken, dessen war Sebastian sich sicher.
Sebastian sprang aus der Kutsche, zahlte den Fahrer und begab sich ins Foyer. Er war ein wenig früh dran, aber es tummelten sich schon eine ganze Reihe Leute, die sehen und in ihren glitzernden Roben gesehen werden wollten.
Langsam ging er durch die Menge, plauderte mit Bekannten, lächelte wie immer den jungen Damen zu, die am wenigsten damit rechneten. Der Abend verhieß jede Menge Freuden, doch gerade als er die Treppe erreicht hatte ...
Sein Onkel.
Sebastian erstarrte, unterdrückte ein Stöhnen. Er wusste nicht, warum er so überrascht war, schließlich war damit zu rechnen, dass der Earl of Newbury die Oper aufsuchen würde, vor allem, nachdem er auf der Suche nach einer neuen Frau war. Trotzdem, er war so guter Stimmung gewesen - es kam ihm direkt kriminell vor, dass sein Onkel sie ihm nun durch seine Anwesenheit verdarb.
Normalerweise wäre er ihm ausgewichen. Sebastian war zwar kein Feigling, aber er sah keinerlei Grund, sich mit etwas Unangenehmem zu beschäftigen, wenn er es genauso gut vermeiden konnte.
Leider war es ihm diesmal nicht möglich, ihm zu entkommen. Newbury hatte Sebastian gesehen, und Sebastian wusste, dass er wusste, dass er ihn ebenfalls gesehen hatte.
Vor allem jedoch hatten vier weitere Gentlemen mitbekom-men, dass sie einander gesehen hatten. Sebastian betrachtete sich nicht als feige, nur weil er seinem Onkel aus dem Weg ging, aber er war sich bewusst, dass andere das möglicherweise anders beurteilten.
Er war nicht so verblendet, dass er glaubte, er sei auf die gute Meinung anderer Menschen nicht angewiesen. Nein, er würde sich nicht von halb London nachsagen lassen, er habe Angst vor seinem Onkel.
Und da es nicht möglich war, ihm aus dem Weg zu gehen, versuchte er es mit dem Gegenteil und steuerte geradewegs auf Newbury zu.
„Onkel", sagte er und hielt kurz inne, um ihn zu begrüßen.
Newbury sah ihn finster an, war aber offensichtlich so überrascht von der unmittelbaren Begegnimg, dass er keine Zeit hatte, eine schneidende Antwort zu formulieren. Stattdessen nickte er ihm nur knapp zu und knurrte etwas Unbestimmtes, da seine Lippen offenbar nicht in der Lage waren, Sebastians Namen zu formen.
„Ich bin wie immer entzückt, dich zu sehen", erklärte Sebastian mit breitem Lächeln. „Ich wusste gar nicht, dass du ein Musikliebhaber bist." Und bevor Newbury noch etwas anderes tun konnte, als mit den Zähnen zu knirschen, nickte er ihm zum Abschied zu und schlenderte davon.
Alles in allem eine erfolgreiche Begegnung. Es würde sogar noch besser werden, wenn dem Earl nämlich klar wurde, dass sein Neffe in der Loge der Fenniwicks saß. Newbury war ein schrecklicher Snob und wäre sicher außer sich vor Wut, dass Sebastian einen besseren Platz hatte als er selbst.
Was gar nicht seine Absicht gewesen war, als er Lady Louisas Einladung angenommen hatte, aber hatte auch nichts einzuwenden gegen diese unerwartete Gunst.
Als Sebastian die Loge betrat, sah er, dass Lady Louisa und Miss Winslow bereits dort
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