Rendezvous im Hyde Park
größten Klatschbasen mitbekamen, wie er ihr die Hand küsste, über ihre Witze lachte und ihr, wenn sie im Gespräch angetroffen wurden, anbetend (aber nicht lüstern) ins Gesicht blickte.
Und ja, er hatte tatsächlich das Wort „lüstern" verwendet.
Was sie schockiert hätte, wenn er nicht eine so amüsante Art gehabt hätte, sich auszudrücken. Sie konnte daher nichts anderes tun, als darüber zu lachen, was, wie er ihr sagte, nur gerecht war - denn er konnte ja wohl nicht zulassen, dass das Gerücht in die Welt gesetzt wurde, er lache über ihre Witze, sie aber nicht über seine.
Was sie wiederum zum Lachen brachte.
Sie hatten die Scharade am nächsten Nachmittag wiederholt, ebenso am übernächsten, wo sie mit Sir Harry und Lady Olivia gepicknickt hatten. Mr Grey hatte sie mit der strikten Anweisung nach Hause gebracht, an diesem Abend nicht vor halb zehn auf dem Ball der Hartsides zu erscheinen. Die Kutsche der Vickers traf um dreiviertel zehn ein, und als sie fünf Minuten später in den Ballsaal trat, stand Mr Grey zufällig in der Nähe der Tür, wo er sich mit einem Herrn unterhielt, den sie nicht kannte. Als er sie jedoch sah, unterbrach er sofort das Gespräch und eilte an ihre Seite.
Dass er dabei an drei äußerst schönen Frauen vorbeiging, war, wie Annabel mutmaßte, kein Zufall.
Zwei Minuten später tanzten sie. Fünf Minuten später tanzte sie mit dem Gentleman, mit dem er geplaudert hatte.
Und so weiter und so fort, bis hin zum russischen Fürsten, den Berbrookes und Lord Rowton. Annabel war sich nicht sicher, ob es ihr für immer gefallen würde, das beliebteste Mädchen in der Stadt zu sein, aber sie musste einräumen, dass es einen Abend lang einen Riesenspaß machte.
Lady Twombley hatte sie angesprochen, hatte Gift und Galle gespuckt, aber selbst ihr gelang es nicht, den Klatsch in etwas Unangenehmes zu verdrehen. Sie war Lady Olivia Valentine nicht gewachsen, die (so erfuhr Annabel) bei drei ihrer besten Freundinnen die Bemerkimg hatte fallen lassen, dass es Mr Grey diesmal wirklich erwischt zu haben schien.
„Natürlich bei den Dreien, die überhaupt keine Diskretion kennen", hatte Sir Harry gemurmelt.
Lady Olivia, so erkannte Annabel allmählich, wusste sehr genau, wie das mit dem Klatsch funktionierte.
„Annabel!"
Annabel entdeckte Louisa, die ihr zuwinkte, und sobald sie vor Lord Rowton geknickst und ihm artig für den Tanz gedankt hatte, eilte sie zu ihrer Cousine hinüber.
„Wir sind Zwillinge", erklärte Louisa und deutete auf ihre Kleider, die von einem beinah identischen hellen Salbeigrün waren.
Annabel konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Unterschiedlichere Cousinen musste man erst einmal finden!
„Ich weiß", erklärte Louisa. „Die Farbe sieht an mir einfach schrecklich aus."
„Aber nein", versicherte Louisa ihr, dachte aber, dass es vielleicht doch ein wenig stimmte.
„Lüg mich nicht an", erklärte Louisa. „Als meine Cousine ist es deine Pflicht, mir die Wahrheit zu sagen, wenn es sonst keiner tut."
„Also schön, es ist für dich nicht die beste Farbe ..."
Louisa seufzte. „Ich habe überhaupt keine Farbe."
„Das stimmt nicht!", rief Annabel, nur dass es bei ihr heute Abend, in dem Salbeigrünen, das so schrecklich an ihr aussah, vielleicht doch ein wenig stimmte. Louisa war immer recht blass, aber das schummrige Licht und das Kleid ließen das letzte bisschen Rosa von ihren Wangen verschwinden. „Mir hat das Blau an dir gefallen, das du in der Oper getragen hast. Du hast darin sehr attraktiv ausgesehen."
„Findest du?", fragte Louisa beinahe hoffnungsvoll. „Ich habe mich darin auch attraktiv gefühlt."
„Manchmal glaube ich, dass damit die Schlacht schon zur Hälfte gewonnen ist", sagte Annabel.
„Nun, du musst dich in dem Salbeigrün ja ganz besonders hinreißend fühlen", sagte Louisa. „Du bist heute Abend die Ballkönigin."
„Mit der Farbe meines Kleids hat das nichts zu tun", entgegnete Annabel, „das weißt du ganz genau."
„Mr Grey hat sich ganz schön ins Zeug gelegt", meinte Louisa.
„Allerdings."
Sie standen einen Augenblick da und sahen in die Menge, dann erklärte Louisa: „Es war sehr nett von ihm, dass er eingegriffen hat."
Annabel nickte und murmelte etwas Zustimmendes.
„Nein, ich meine, es war sehr nett von ihm."
Ihre Cousine sah sie fragend an.
„Er hätte es nicht tun müssen", erklärte Louisa. Ihre Stimmewarnichtdirekthart,aber ...fast. „Die meisten Gentlemen hätten nichts
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