Rendezvous im Hyde Park
unbehaglich und wandte sich um.
„Er war hier?"
Lady Vickers kniff die Augen zusammen, doch wenn sie den Verdacht hegte, dass Annabel Lord Newbury aus dem Weg gegangen war, so sagte sie es nicht. Sie nickte zum Salon, offenbar in der Erwartung, dass ihre Enkelin ihr folgen würde. Annabel kehrte um und betrat nach ihrer Großmutter den Raum. Sie blieb an der Tür stehen, während ihre Großmutter zur Anrichte ging, um sich etwas zu trinken einzuschenken.
„Es wäre sehr viel günstiger gewesen, wenn du hier gewesen wärst", sagte Lady Vickers, „aber es freut mich, dir mitteilen zu dürfen, dass wir ihn dazu bringen konnten, die entscheidende Frage zu stellen. Er hat fast eine Stunde mit deinem Großvater verbracht."
„Ach wirklich?" Annabels Stimme klang hohl.
„Ja, und du wirst dich sicher freuen, wenn ich dir sage, dass ich die ganze Zeit das Ohr an der Tür hatte." Sie nahm einen Schluck und seufzte zufrieden. „Dein Groß-
vater vergaß, deine Familie in Gloucestershire zu erwähnen, daher war ich so frei und habe interveniert."
„Interveniert?"
„Ich bin vielleicht dreiundfünfzig ..."
Einundsiebzig.
„... aber mein Verstand ist immer noch messerscharf."
Lady Vickers stellte ihr Glas ab und beugte sich vor. Sie wirkte höchst zufrieden mit sich. „Newbury sorgt dafür, dass deine vier Brüder alle eine ordentliche Ausbildung bekommen, bis hin zur Universität, und danach kauft er jedem, der eines will, ein Offizierspatent. Was deine Schwestern angeht, so konnte ich nur eine schäbige Mitgift herausschlagen, aber das ist immer noch mehr, als du jetzt hast." Sie nahm einen großen Schluck und kicherte.
„Und du hast einen Earl an Land gezogen."
Es war alles, was Annabel sich erhofft hatte. Ihre Geschwister wären alle gut versorgt. Sie hätten alles, was sie brauchten.
„Eine lange Verlobungszeit lehnt er ausdrücklich ab", sagte Lady Vickers. „Du weißt ja, dass er einen Sohn will, so schnell wie möglich. Ach, mm sieh mich nicht so an. Du wusstest doch, was kommt."
Annabel schüttelte den Kopf. „Ich ... ich habe dich überhaupt nicht irgendwie angesehen. Ich war nur ..."
„O Gott", stöhnte Lady Vickers. „Muss ich dich vielleicht auch noch aufklären?"
Annabel hoffte sehnlichst, dass ihr das erspart bliebe.
„Bäh. Ich habe es schon bei deiner Mutter und deiner Tante Joan gemacht. Wenn es bei dir auch noch sein muss, brauche ich einen weitaus größeren Drink."
„Ist schon gut", sagte Annabel schnell. „Ich hab es nicht nötig."
Darauf wurdeihreGroßmuttermunter. „Wirklich?", fragte sie, plötzlich sehr interessiert.
„Also, jedenfalls nicht jetzt gleich", wand Annabel sich,
„oder vielleicht auch ... nie. Jedenfalls von dir", fuhr sie fort, wenn auch ein gutes Stück leiser.
„Wie?"
„Ich komme vom Land", sagte sie gespielt fröhlich.
„Viele ... die Tiere ... und ... ähm ..."
„Schau mal", sagte Lady Vickers. „Du magst Dinge über Schafe wissen, von denen ich gewiss nichts hören will, aber wenn es um die Ehe mit einem übergewichtigen Edelmann geht, weiß ich auch das eine oder andere."
Annabel ließ sich auf einen Stuhl sinken. Welchen Wissensschatz ihre Großmutter ihr auch an die Hand geben mochte - sie bezweifelte, dass sie es im Stehen ertrug.
„Eigentlich läuft alles auf eins hinaus", begann Lady Vickers und wackelte mit dem Finger. „Wenn er fertig ist, streck die Beine hoch in die Luft."
Alles Blut wich aus Annabels Gesicht.
„Nein, wirklich", beharrte ihre Großmutter. „Glaub mir.
Dann bleibt der Samen drin, und je früher du schwanger wirst, desto früher brauchst du dich nicht mehr mit ihm abzugeben. Das, mein Liebes, ist das Geheimnis einer guten Ehe."
Wie betäubt nahm Annabel ihr Buch und erhob sich zum Gehen. „Ich lege mich jetzt hin."
Lady Vickers lächelte. „Natürlich, Liebes. Oh! Ich hätte es beinahe vergessen. Wir fahren heute Abend aufs Land."
„Was? Wohin?" Und wie sollte sie dann Sebastian Bescheid geben?
„Winifred hat kurzfristig eine Gesellschaft auf dem Land angekündigt", erklärte sie, „und du kommst auch mit."
„Ja?"
„Ich muss ja auch gehen, dieses verdammte, verflixte, blöde..."
Annabel blieb der Mund stehen, als sie diese selbst für ihre Großmutter beeindruckende Aneinanderreihung von Schimpfwörtern hörte.
„Ich hasse das Land", brummte Lady Vickers. „Ist doch nichts als eine Verschwendung von guter Luft."
„Müssen wir denn hin?"
„Natürlich müssen wir hin, du dumme Pute.
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