Rendezvous im Hyde Park
Einer von uns musste die Angelegenheit doch vorantreiben."
„Was meinst du damit?", fragte Annabel vorsichtig.
„Winifred ist eine intrigante alte Kuh, aber ich hab noch was gut bei ihr", sagte ihre Großmutter scharf. „Sie hat jedenfalls dafür gesorgt, dass Newbury auch kommt. Ich konnte sie allerdings nicht davon abhalten, auch den anderen einzuladen."
„Sebastian... ähm, Mr Grey?", fragte Annabel und ließ ihr Buch fallen.
„Ja, ja", erwiderte Lady Vickers und klang dabei sehr betrübt. Sie wartete einen Moment, während Annabel ungeschickt das Buch aufhob und gleich noch einmal fallen ließ, ehe sie es auf einem Tischchen ablegte. „Ich kann es ihr wohl nicht zum Vorwurf machen", sagte sie dann. „Es wird die Einladung der Saison sein."
„Er hat sich bereit erklärt zu kommen? Obwohl er weiß, dass auch sein Onkel eingeladen ist?"
„Keine Ahnimg. Sie hat die Einladungen erst heute Nachmittag rausgeschickt." Lady Vickers zuckte mit den Schultern. „Er ist wirklich ein attraktiver Kerl."
„Was hat das denn mit..." Annabel schloss den Mund. Sie wollte die Antwort gar nicht hören.
„Wir brechen in zwei Stunden auf", sagte Lady Vickers und trank ihr Glas aus.
„In zwei Stunden? Bis dahin kann ich unmöglich fertig sein."
„Natürlich kannst du bis dahin fertig sein. Die Dienstmädchen haben deine Sachen schon gepackt. Winifred wohnt nicht weit von London, und zu dieser Jahreszeit geht die Sonne erst spät unter. Mit ein paar guten Pferden können wir kurz nach Einbruch der Dämmerung dort sein.
Und ich würde viel lieber heute Abend abreisen. Ich hasse es, vormittags in der Kutsche zu sitzen."
„Du warst ja recht eifrig", sagte Annabel.
Lady Vickers straffte die Schultern und sah sie stolz an.
„Allerdings. Du tätest gut daran, dir an mir ein Beispiel zu nehmen. Du sollst deinen Earl bekommen."
„Aber ich ..." Annabel erstarrte, als sie die Miene ihrer Großmutter sah.
„Ich darf doch hoffen", sagte Lady Vickers, deren Blick zu Eis gefroren war, „dass du nicht sagen wolltest, du willst ihn gar nicht."
Annabel schwieg. Sie hatte ihre Großmutter noch nie in so drohendem Ton sprechen hören. Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Gut. Ich vertraue darauf, dass du nichts tun würdest, was das Leben deiner Geschwister weiter erschweren würde."
Annabel wich einen Schritt zurück. Drohte ihre Großmutter ihr etwa?
„Ach, du liebes bisschen", fuhr Lady Vickers sie an. „Nun schau doch nicht so versteinert drein. Glaubst du, ich würde dich schlagen?"
„Nein! Nur dass ..."
„Du heiratest einfach den Earl, und mit dem Neffen hast du eine Affäre."
„Großmutter!"
„Hör auf mit diesem verdammten puritanischen Getue.
Etwas Besseres kannst du dir schließlich gar nicht wünschen. Auch wenn du vom Falschen ein Kind bekommst, bleibt doch alles in der Familie."
Annabel war sprachlos.
„Ach, und übrigens. Louisa kommt auch mit. Diese verkniffene alte Tante von ihr ist erkältet und kann sich diese Woche nicht um sie kümmern, und so habe ich gesagt, wir nehmen sie mit. Wir wollen doch nicht, dass sie in ihrem Zimmer versauert, oder?"
Annabel schüttelte den Kopf.
„Gut. Mach dich bereit. Wir fahren in einer Stunde."
„Vorhin hast du gesagt, in zwei Stunden."
„Ach ja?" Lady Vickers blinzelte und zuckte dann mit den Schultern. „Da muss ich wohl gelogen haben. Immer noch besser, als es zu vergessen."
Damit spazierte sie aus dem Salon. Annabel sah ihr mit offenem Mund nach. Sicher würde ihr dieser Tag als der merkwürdigste und folgenschwerste ihres Lebens in Erinnerung bleiben.
Wenn sie nicht das Gefühl gehabt hätte, dass der nächste Tag noch viel merkwürdiger werden würde ...
Am folgenden Morgen
Sebastian wusste genau, warum man ihn zu Lady Challis' Hausgesellschaft eingeladen hatte.
Sie hatte ihn nie gemocht, und bisher war er auch noch nie zu irgendeiner ihrer Festivitäten gebeten worden. Doch bei aller Frömmelei war Lady Challis auch eine unglaublich ehrgeizige Gastgeberin, und wenn sie die Gesellschaft des Jahres geben konnte, indem sie Annabel, Sebastian und den Earl of Newbury unter einem Dach vereinte, dann würde sie das bei Gott auch tun.
Sebastian hatte zwar keine besondere Lust, sich für solche Ziele einspannen zu lassen, aber wenn er die Einladung ausgeschlagen hätte, hätte er Newbury ungehindert Zugang zu Annabel verschafft, und das wollte er noch viel weniger.
Außerdem hatte er Annabel gesagt, er würde ihr einen Tag Zeit geben,
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