Rendezvous in Kentucky
unvermittelt wissen.
Devon setzte sich wieder hin und aß gelassen weiter.
»Ich habe dich gefragt, warum du hergekommen bist, und ich verlange eine Antwort!«
Er legte die Brotscheibe hin. »Ich war eigentlich auf der Durchreise, aber als ich hörte, daß eine alte Bekannte von mir hier wohnt, hab’ ich mir gedacht: Schaust du mal eben rein und sagst Hallo.«
»Eine alte Bekannte, so«, sagte sie mit eiskalter Stimme. »Du sitzt hier, als wäre nichts geschehen... Als ob wir in Sweetbriar säßen — gleich beginnt wohl deine Lesestunde, was?« Ihre Stimme wurde schrill: »Wie kannst du denn nach allem, was zwischen uns war, noch so ruhig mit mir sprechen? Nach der Nacht, in der wir...« Tränen stiegen in ihre Augen. »Ich bin von Sweetbriar verschwunden, weil ich dich nie — hörst du: nie! — Wiedersehen wollte! Ich möchte, daß du jetzt von hier verschwindest und niemals wiederkommst, hast du mich verstanden?« Sie hatte so laut geschrien, wie sie nur konnte. Jetzt liefen ihr Tränen der Wut und Empörung über die Wangen. Sie lief durch die offene Tür hinaus in den Wald.
Devon saß ruhig am Tisch und sah ihr nach. Ein breites Lächeln erhellte sein Gesicht, als er sich wieder seinem Mahl zuwandte. Sie läuft noch genauso komisch wie früher, dachte er. Zum ersten Mal seit zwei Jahren hatte er wieder Appetit, und zwar nicht auf Alkohol. Wie oft hatte er in der letzten Zeit sein Essen angeekelt fortgeschoben und statt dessen zur Whiskyflasche gegriffen!
So, sie erinnerte sich also an ihn! Genüßlich bestrich er das Brot dick mit Butter und biß hinein. Sie dachte, er hätte ihre gemeinsame Liebesnacht vergessen. Diese eine Nacht mit ihr hatte es ihm in den letzten zwei Jahren unmöglich gemacht, mit einer anderen Frau zu schlafen! Er hatte schon einige Erfahrungen mit Frauen — aber keine von ihnen hatte ihn so liebkost wie Linnet, keine von ihnen war...
Er lächelte und biß wieder von seinem Brot ab. Wenn sie sich so gut an ihn erinnerte, vielleicht wäre es dann möglich, daß er ein bißchen mit ihr... na ja! Danach könnte sie
der Richter gern wiederhaben. Du meine Güte — was für ein widerlicher, arroganter Mensch mußte das wohl sein, weil er anderen Leuten erlaubte, ihn »den Richter« zu nennen? Nun ja, ihn brauchte das schließlich nicht zu interessieren, solange er selbst bekam, was er wollte.
14
»Es ist für jeden Christenmenschen ein Schlag ins Gesicht, wenn sie ihn vor aller Augen hierher bringt. Jeder kann doch sehen, daß ihm das Kind wie aus dem Gesicht geschnitten ist«, entrüstete sich Jule.
»Und stellt euch vor — sie treibt es doch wieder mit ihm! Butch sagte mir, daß er erst gegen Morgengrauen in sein Zimmer gekommen ist!« Ova stichelte eifrig an ihrer Steppdecke.
»Aber was können wir gegen sie unternehmen?« überlegte Jule laut. »Spring Lick war immer eine Gemeinde, die unseren Herrn und Gott fürchtete und ehrte. Doch was jetzt hier stattfindet, erinnert an Sodom und Gomorrha! Und sie ist auch noch die Lehrerin unserer Kinder! Was wird sie ihnen beibringen?«
»Du hast recht«, stimmte ihr Ova zu. »Eine Lehrerin sollte immer Vorbild sein. Und wenn sie meint, daß sie eines ist — du weißt, was ich meine...«
»Aber sicher weiß ich das!« Jule nähte schneller, und ihre Stimme wurde unangenehm schrill: »Ich habe es ja immer schon gesagt — die ist ’ne ganz Heimliche! Wie sie schon den Richter angehimmelt hat...«
»Der Richter!« Ova hörte auf zu nähen. »Den haben wir ja ganz vergessen!«
»Ach was, der ist ein unschuldiges Lamm, das wir beschützen müssen.« »Aber sicher müssen wir das, und ich denke mir, daß ihm ein Vögelchen zwitschern müßte, was in seiner Stadt, gewissermaßen unter seiner Nase, so alles vor sich geht!« Jule und Ova sahen sich an.
»Es ist unsere Pflicht...« beteuerte Jule.
»... als Christinnen«, bestätigte Ova. Die beiden Frauen räumten ihre Nähsachen weg und steuerten dann mit lebhaften Schritten das große Holzhaus des Richters an.
»Guten Morgen, meine Damen. Ein wundervoller Tag. Gerade richtig zum Spazierengehen, nicht wahr?«
Ova senkte beschämt den Kopf. Ob das alles so richtig war? Doch Jule hatte keine Skrupel.
»Richter, es tut mir leid, aber wir müssen Ihnen etwas Unerfreuliches mitteilen.«
Das Gesicht des Richters wurde ernst: »Es ist doch hoffentlich keinem etwas geschehen?«
Ova seufzte: »Das ist doch wieder ganz unser Richter! Immer denkt er zuerst an andere. Doch ich fürchte, daß
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