Rendezvous in Kentucky
Sie der einzige sein werden, dem etwas angetan wird, und deshalb hielten wir es für unsere Pflicht —«
»— unsere Christenpflicht«, schaltete Jule sich ein.
»Ja«, fuhr Ova fort, »für unsere heilige Pflicht, Ihnen zu erzählen, was in ihrer eigenen Stadt — gewissermaßen in Ihrem eigenen Haus! — vor sich geht. Und zwar handelt es sich um etwas, das Sie selbst nie bemerken würden. Sie sind ja ein so freundlicher Mann!«
»Möchten Sie sich nicht setzen, meine Damen, und mir dann alles erzählen?« Er holte ihnen Stühle auf die Veranda. Als sie saßen, fragte er: »Nun, was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um die Lehrerin.«
»Linnet?« fragte er.
»Jawohl, um Linnet Tyler. So nennt sie sich ja anscheinend selbst.«
Jule übernahm die Gesprächsführung: »Wir haben Ihnen zuliebe über vieles hinweggesehen, Richter. So zum Bei-
spiel, daß das Baby keinen Vater hat. Oh, es ist nicht ganz ohne Vater, denn schließlich haben wir alle unseren himmlischen Vater, aber Sie verstehen, nicht wahr? Aber wenn diese Person jetzt den Erzeuger dieses Bastards in diese Stadt kommen läßt und uns zumutet, mit...«
»Was?« fragte der Richter erstaunt und stand auf.
»O ja. Es stimmt. Leider«, fügte Ova hinzu. »Der Vater des Kindes ist hier, in dieser Stadt. Er wohnt bei meinem Butch im Laden.«
Der Richter lehnte sich gegen einen Pfosten. »So, meine Damen, jetzt erzählen Sie mir doch bitte die ganze Geschichte. Aber von Anfang an, und unterschlagen Sie nicht die kleinste Kleinigkeit.«
Linnet fegte den Boden des kleinen Schulhauses. Sie bedauerte die Ereignisse der letzten Nacht, aber es war nun mal passiert. Wenn sie ruhig geblieben wäre, dann hätte er es vielleicht vorgezogen zu gehen. So hatte er die Hütte erst verlassen, als sie zurückgekehrt war. Die ganze Nacht hatte sie wachgelegen und seine Gegenwart gespürt.
»Morgen, Frau Lehrerin.« Devon stand lässig in der offenen Tür und lehnte sich gegen den Türpfosten.
»Guten Tag«, erwiderte sie, so ruhig sie nur konnte. »Was kann ich für dich tun?«
Er lächelte unbestimmt: »Och, ich habe mir gedacht, ich komme mal eben vorbei und schaue mir an, wo du den Großteil deiner Zeit verbringst.« Er wies mit dem Daumen auf ein großes Buch, das auf ihrem Pult lag. »Was ist das?«
»Das ist ein Wörterbuch. Wenn man nicht weiß, was ein Wort bedeutet, dann kann man dort nachschlagen.«
»Das ist doch völlig sinnlos. Warum sollte man denn ein Wort benutzen, dessen Bedeutung man nicht kennt?«
Sie sah ihn nachsichtig an: »Was wäre denn, wenn dir jemand etwas auf Shawnee sagt, und du kennst die Bedeu-tung von jedem Wort — nur ein einziges fehlt dir? Hättest du dann nicht gern ein Buch, in dem du dieses Wort nachschlagen könntest?«
»Nein«, erwiderte er ernsthaft. »Dann müßte ich ja so einen dicken Wälzer mit mir rumschleppen. Ich würde lieber einen Indianer nach der Bedeutung fragen.«
»Aber manchmal —« Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, daß der Richter den Raum betrat.
»Linnet, ich habe gerade gehört, daß ein Freund von Ihnen unsere Stadt besucht.«
Linnet stand zwischen den beiden Männern. »Ja. Darf ich Ihnen Devon Macalister aus Sweetbriar, Kentucky, vorstellen?«
»Schön, Sie kennenzulernen, Devon!« Der Richter streckte seine Hand aus.
»Mac genügt!« riefen Devon und Linnet wie aus einem Mund. Devon blinzelte ihr vergnügt zu, als Linnet hastig erklärte: »Jeder nennt ihn nur Mac.«
»Oh«, machte der Richter nur. Was er da an Übereinstimmung bemerkte, gefiel ihm ganz und gar nicht. »Linnet, könnte ich Sie wohl für einen Moment allein sprechen?«
»Natürlich.« Sie sah Devon nicht an, weil sie förmlich fühlen konnte, was er dachte. Seine Eifersucht hatte sie schon einmal entzweit, und sie hatte keinerlei Veranlassung anzunehmen, daß er sich geändert hatte.
»Ist dieser Mann der Vater Ihres Kindes?« wollte der Richter wissen, als sie kaum durch die Tür getreten waren.
Linnet riß erstaunt die Augen auf: »Das haben Sie aber schnell herausgefunden.«
»Haben Sie die letzte Nacht mit ihm verbracht?«
»Sie möchten wissen, ob ich ihn vorgezogen habe, nachdem ich die großzügigen Angebote von nahezu jedem Mann in dieser Stadt ausschlug? Entschuldigen Sie mich jetzt. Ich habe noch zu arbeiten.«
Der Richter packte sie grob am Arm: »Ich habe Sie hergebracht. Ich habe Ihnen Geld gegeben, und Sie schulden mir —«
»Ich schulde Ihnen nichts! Ich habe bereits bezahlt! Schließlich
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