Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
an, dass J nach der Besprechung mit ihr geredet und sie darüber informiert hatte, dass Cormac an der Grenze seiner Frustrationsschwelle angelangt war. »Ich treffe mich morgen ohnehin mit ihm«, sagte ich.
»Es muss noch heute Nacht sein. Uns läuft die Zeit davon«, befahl sie.
»Zeit wofür? Geht es um das Attentat auf Joe Daniel?«
»Es geht um deinen Vater«, erwiderte sie mit hohler Stimme.
Frustriert und verwirrt platzte ich heraus: »Er ist seit über vierhundert Jahren tot! Was ist plötzlich so wichtig an ihm? Du wolltest nie mit mir über ihn reden.«
»Vielleicht sollte ich das langsam tun. Aber zuerst musst du Cormac bitten, einen Tresorraum oder eine andere Art Sicherheitsraum in einem der unteren Kellergeschosse des Hauptquartiers von Opus Dei ausfindig zu machen.«
»Warum?«, fragte ich. In mir keimte der Verdacht auf, dass sie schon lange etwas mit Opus Dei plante. In Wahrheit war ich nicht einmal überrascht über Mar-Mars Interesse, da in der Presse schon seit einigen Jahren über eine Verbindung zwischen dem Orden und den amerikanischen Geheimdiensten spekuliert wurde. Dem ehemaligen Leiter des FBI, Louis Freeh, sagte man nach, ein Mitglied der Sekte zu sein. Auch die Richter des Obersten Gerichtshofs, Antonin Scalia und Clarence Thomas, wurden mit Opus Dei in Verbindung gebracht, nachdem der FBI-Experte Robert Hanssen, ebenfalls Mitglied, als langjähriger Spion für die Sowjetunion entlarvt und verhaftet worden war. Ein weiterer seltsamer Fakt verband diese Männer miteinander: Hanssen, Scalia und Freeh hatten alle an der Messe der Gemeinde St. Catherine of Siena in Great Falls, Virginia, teilgenommen, einer Messe, die trotz des Verbots durch den Vatikan immer noch in Latein abgehalten wurde.
Ich glaubte nicht an Zufälle. Das Leben dieser Männer war auf vielfältige Weise miteinander verflochten, und es steckte eine ganze Menge mehr hinter Opus Dei, als man die Öffentlichkeit glauben machen wollte. Wenn ich jemals ernsthaft darüber nachgedacht hätte, warum Cormac bei der Sekte stationiert worden war, hätten mich Mar-Mars nächste Worte nicht derart aus der Fassung gebracht.
»Wir müssen morgen Abend dort einbrechen und Akten stehlen, die der Vatikan Opus Dei im Zuge eines Handels überlassen hat.«
»Akten? Enthalten sie Informationen über meinen Vater?«, fragte ich.
»Ja. Zumindest hoffe ich das.«
Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Wut stieg in mir auf, ohne dass ich sie zu stoppen vermochte. »Hast du den Verstand verloren? Wir sind dabei, ein Attentat zu verhindern. Für so etwas haben wir jetzt keine Zeit.«
»Daphne, bitte hör auf deine Mutter. Wir müssen an diese Akten kommen, und zwar so schnell wie möglich. Nach all den Monaten bei Opus Dei sollte Cormac inzwischen kein großes Aufsehen mehr erregen. Niemand wird Verdacht schöpfen, wenn er ein bisschen herumschnüffelt. Es ist äußerst dringend. Du musst mir glauben.«
»Ich fasse es nicht!«, rief ich. »Habe ich denn eine Wahl? Was verschweigst du mir schon wieder?« Meine Hand schloss sich fester um den Telefonhörer.
»Bitte beruhige dich, Daphne. Ich erkläre dir alles, wenn wir uns treffen. Bitte tu, was ich dir sage, und stell mir keine Fragen mehr. Geh einfach.«
Ich wollte mich weigern, vermochte es jedoch nicht. Mar-Mar war meine Mutter und obendrein eine Art Leiterin der Organisation, für die ich arbeitete. Sie war mir gegenüber in jeder Hinsicht weisungsbefugt. Ich seufzte resigniert. Das Hauptquartier von Opus Dei befand sich an der Ecke Vierunddreißigste Straße und Lexington, ganz in der Nähe von Tallmadges Club. Es war schon spät – eigentlich wollte ich nur noch mit Jade spazieren gehen, mir das Material auf der CD ansehen und mich dann in meinen Sarg verkriechen. Ich dachte: So eine verdammte Scheiße. Ich sagte: »Ich laufe sofort los. Ich muss sowieso mit Jade vor die Tür.«
»Das geht nicht«, erwiderte Mar-Mar tonlos.
»Wieso nicht?«, fragte ich und rechnete dabei bereits, wie viel Zeit mir noch bis Sonnenaufgang blieb.
»Männer und Frauen werden bei Opus Dei strikt getrennt. Cormac ist im Männertrakt. Selbst wenn ihr euch draußen trefft, wäre es deutlich unauffälliger, wenn du wie ein Mann aussähest. Ein Priester wäre optimal. Ein großer Hund, der aussieht wie ein Wolf, erregt viel zu viel Aufsehen.«
Mar-Mar schien tatsächlich zu erwarten, dass ich fragte: »Wie hoch?«, wenn sie mir befahl zu springen. Ich verspürte den großen Drang, mit ihr ein
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