Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
Tallmadge wollte: eine Königin der Verdammten.
Das Leben einer solchen Königin hatte zweifelsohne seine Vorteile. Verborgen in der Unterwelt und gestärkt vom Einfluss und Reichtum meiner Mutter, besäße ich gewaltige Macht. Ich könnte die Urangst verstärken, die die Menschen seit jeher vor den Untoten hatten, könnte das Ziel einiger Vampire unterstützen, die Welt zu regieren – als bräuchten wir noch mehr Blutsauger, die das versuchten –, aber vor allem könnte ich ein zügelloses Leben führen und meine niederträchtigsten Wünsche befriedigen. Ich würde Menschen jagen, würde warmes, frisches Blut trinken, würde Ducasse und seinesgleichen beherrschen, würde mich meiner dunklen Seite hingeben und meine gute Seite vergessen, an der ich so hart gearbeitet hatte.
Die Vorstellung, zu einem solchen Geschöpf zu werden, entsetzte mich. Ich beschloss daher, weder zu verbergen noch zu leugnen, was ich getan hatte. Die einzige Möglichkeit, diese niederen Neigungen zu bekämpfen und darüber zu triumphieren, war, sich zu ihnen zu bekennen. Ich würde es jedem ins Gesicht sagen, der es hören wollte, und als Erstes würde ich es Fitz erzählen – dem Menschen, der eine höhere Meinung von mir hatte als jeder andere. Ich nahm mir vor, so bald wie möglich wieder ins Krankenhaus zu fahren.
Nachdem ich den Kaffee ausgetrunken hatte, zerdrückte ich den Pappbecher in der Hand und warf ihn in einen Mülleimer an der Straßenecke. Zusammen mit dem Becher warf ich auch meine Schuldgefühle weg. Ich ließ die Ereignisse der Nacht hinter mir und sah nach vorn.
Einen Block von Opus Dei entfernt entdeckte ich auf der Vierunddreißigsten Straße einen weiteren Priester, der unruhig auf und ab ging und auf seine Uhr sah. Die Gestalt war zu groß für die verkleidete Mar-Mar, und ich überlegte, wer es wohl sein mochte. Ich musste nicht allzu lange darüber nachgrübeln, denn als der Priester mich sah, kam er schnellen Schrittes auf mich zu. Es war J.
Ach du Scheiße . Ich befand mich nicht in der Stimmung für eine Konfrontation mit J und die konfusen Signale, die er aussandte. Manchmal gab er mir das Gefühl, dass er mich verachtete. Dann wieder benahm er sich, als respektierte er mich, und ab und zu zeigte er mir, dass er mich begehrte. Im Moment war ich der gesamten männlichen Spezies gegenüber extrem negativ eingestellt, und J trat mitten in die Schusslinie. Als er mich erreichte, schaute ich ihn finster an.
»Was zum Teufel tun Sie denn hier?«, fragte ich. Er trug ein schwarzes Hemd mit einem Priesterkragen, schwarze Hosen und eine schwarze Anzugjacke. Um seine Schultern hatte er den Riemen eines etwa einen Meter langen Kastens geschlungen, der genauso aussah wie die Verpackung von Klappstühlen. Man konnte jedoch kaum davon ausgehen, dass J Stühle mit sich herumtrug. Wahrscheinlich hatte er Waffen oder Werkzeug dabei.
»Ich freue mich auch, Sie zu sehen«, erwiderte er. » Sie sind ziemlich spät dran. Wir müssen uns noch unterhalten, bevor wir die Aktion starten.«
»Wo ist meine Mutter?«, entgegnete ich. »Sie ist diejenige, die sich mit mir unterhalten sollte. Dieser Einbruch ist schließlich ihr Projekt, oder nicht?«
J sah mich an, als versuchte er herauszufinden, woher ich gerade kam. »Das stimmt, es ist ihr Projekt, und sie hat mich um Hilfe gebeten. Sie kommt übrigens nicht«, sagte er mit ruhiger, unbewegter Stimme.
»Was? Dann mache ich auch nicht mehr mit. Ich begreife sowieso nicht, warum Cormac das Ganze nicht einfach allein durchzieht. Ich bin raus. Ich gehe nach Hause«, sagte ich und wandte mich um, dankbar dafür, dass ich dieses Abenteuer einfach vergessen konnte.
»Bleiben Sie stehen, Agentin Urban«, befahl J mit seiner ganzen Autorität und hielt mich an der Schulter fest. Er drehte mich zu sich und sah mir direkt in die Augen. »Wir brauchen Sie. Soweit ich verstanden habe, kann Cormac die Akten nicht alle allein hinausschaffen, weil es zu viele Kartons sind.«
»Was steht in den Akten?«, fragte ich scharf. »Und wer zum Teufel interessiert sich überhaupt dafür?«
»Um ehrlich zu sein, ich weiß es selbst nicht genau. Es handelt sich offenbar um Aufzeichnungen, die ursprünglich im Vatikan gelagert wurden. Das ist alles, was mir Ihre Mutter darüber erzählt hat. Sie sagte auch, dass es eine relativ problemlose Aktion sei. Nehmen wir sie also in Angriff.«
Ich sah hinüber zu dem klotzigen Gebäude des Hauptquartiers. Plötzlich hatte ich ein schlechtes Gefühl bei
Weitere Kostenlose Bücher