Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
dem Gedanken, dort einzudringen. Mein Instinkt schrie mir zu, von hier zu verschwinden. Ich stand reglos auf dem Bürgersteig und kämpfte mit meinen Gefühlen, die inzwischen die Lautstärke eines Feueralarms erreicht hatten. Dann holte ich tief Luft und sagte: »Hören Sie, J, ich verstehe das alles nicht. Es gibt irgendwo einen Attentäter, der Joe Daniel ermorden will, und uns läuft langsam die Zeit davon, um ihn aufzuhalten. Mar-Mar hat Cormac von Beginn des Teams Dark Wing an bei Opus Dei stationiert, sie plant also vermutlich schon seit Monaten, diese Akten zu stehlen. Das Timing ist denkbar schlecht. Verschieben wir die Sache und verschwinden wir von hier, okay?«
Auf Js Gesicht zeigte sich erst Überraschung, dann Sorge. »Sie sind ganz schön wütend, oder?«
»Das hat schon nichts mehr mit Wut zu tun, J. Ich glaube, dass wir diese Aktion abbrechen sollten, und zwar sofort. Bitte hören Sie mir zu«, beschwor ich ihn und ergriff seinen Ärmel. »Das wird niemals so einfach, wie meine Mutter behauptet.«
J schwieg für einige Sekunden, dann erwiderte er nüchtern: »Ich kann keinen direkten Befehl missachten. Ihre Mutter hat mich aufgrund meiner Erfahrung bei den Spezialeinheiten auf diesen Job angesetzt – und weil ich im Gegensatz zu Ihnen ein Mensch bin. Sie vermutet, dass ich an Orte gelangen kann, die Ihnen verwehrt bleiben – möglicherweise muss ich auch einen Safe sprengen.«
»Und möglicherweise will sie einfach nicht, dass drei Vampire gleichzeitig getötet werden, J. Sie ist klug und darüber hinaus eine Meisterin im Überleben. Für meine Mutter heiligt der Zweck immer die Mittel. Hoffentlich sind Sie bewaffnet.« Ich schmeckte Bitterkeit in meinem Mund.
»Das bin ich, aber ich habe nicht vor, einen Priester zu erschießen, Daphne. Wenn jemand bei der Aktion umkommt …«
»Außer uns, meinen Sie«, warf ich ein.
»Ja, genau das meine ich. Wenn ein Mitglied von Opus Dei stirbt, wimmelt es hier nur so von Presse und Polizei. Das können wir uns nicht erlauben.«
»Und falls Sie oder ich oder Cormac sterben, verschwinden wir einfach ohne viel Aufsehen. Ist doch so, oder?«
Js Gesicht zeigte keinerlei Reaktion. »Wir sind Soldaten, Daphne. Das Risiko müssen wir eingehen. Diskutieren wir nun weiter über etwas, das wir sowieso nicht ändern können, oder legen wir los?«
»Scheiß drauf«, sagte ich in der Erkenntnis, dass all meine Argumente die Unausweichlichkeit meines Schicksals doch nicht ändern würden. »Legen wir los.«
Cormac wartete bereits auf uns. Als wir auf das Gebäude zutraten, öffnete er die Tür und winkte uns ungeduldig näher. Es überraschte ihn offenbar überhaupt nicht, J zu sehen, und ich fand schnell heraus, dass die beiden bereits früher am Abend, während Benny und ich auf Joe Daniels Kundgebung waren, miteinander geredet und einen Plan ausgearbeitet hatten. Abermals hatte ich das Gefühl, dass jeder irgendetwas vor mir verheimlichte. Mein Leben befand sich in Gefahr, daher besaß ich das Recht auf eine lückenlose Aufklärung.
Ich blieb mitten in der Eingangshalle stehen und sagte mit leiser Stimme: »Bleibt gefälligst stehen, ihr zwei. Ich will sofort wissen, was hier läuft, oder ich drehe mich auf der Stelle um und verschwinde. Fangt am besten damit an, wie wir diese Akten hier herausbekommen sollen, ohne beobachtet zu werden. Hier sind überall Kameras.«
»Ich habe das Überwachungssystem so manipuliert, dass es immer dieselbe Aufzeichnung abspielt«, erwiderte Cormac ungeduldig. »Es wird also überhaupt nichts gefilmt. Aber wir müssen uns trotzdem beeilen. Eine Sicherheitsfirma überwacht die Monitore. Ich glaube zwar kaum, dass sie um drei Uhr nachts sonderlich aufmerksam sind, aber wenn sie sehen, wie ich allzu lange dasselbe Buch lese und dieselbe Tasse Kaffee trinke, schöpfen sie womöglich Verdacht.«
»In Ordnung«, stimmte ich zu. »Aber wo befinden sich die Akten? Wie schwer ist es, an sie heranzukommen?«
»Tja, das ist das Seltsame«, sagte Cormac. »Sie befinden sich in einem gewöhnlichen Raum im Keller, und die Tür ist lediglich mit einem handelsüblichen Schloss versperrt. Ich hatte gestern Nacht keinerlei Probleme, in den Raum zu gelangen. Es sind insgesamt sechs versiegelte Kartons mit der Aufschrift VLM, genau wie deine Mutter es mir beschrieben hat. Ja, ich habe mit ihr gesprochen, Daphne. Verzieh nicht so das Gesicht. Im Grunde müssen wir nur nach unten gehen, das Schloss knacken und die Kartons nach draußen
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