Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
inzwischen bis zu meinem Hintern hochgerutscht war und meine Beine den rauhen Planken des Durchgangs schutzlos auslieferte. In diesem Moment hörte ich ein Übelkeit erregendes Krachen aus dem Raum unter mir.
»Das Brecheisen ist kaputt«, rief Cormac. »J! J!«, schrie er.
»Halten Sie die Luft an«, ertönte Js ruppige Stimme. »Ich bin hier.«
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte ich.
»Ja«, sagte er, klang aber nicht sonderlich überzeugend.
»Sie sind verletzt. Wie schlimm ist es?« Ich konnte das Blut riechen.
»Vergessen Sie’s. Es ist nichts. Kriechen Sie so weit wie möglich«, befahl er.
Ich kroch den langen, dunklen Tunnel entlang, der aus der Decke über mir und rauhen Holzplanken unter mir bestand. Der Strahl meiner Taschenlampe offenbarte keinerlei Öffnungen oder Ausgänge. Das Brecheisen war zerstört, und ich hatte keine Ahnung, wie wir hier wieder rauskommen sollten. Ich verdrängte den Gedanken, dass wir womöglich sterben würden wie Ratten in einem Labyrinth ohne Ausgang. Wir waren am Leben. Noch.
Kapitel 9
Doch rückwärts braust mir Tag für Tag
ans Ohr der Zeiten Flügelschlag.
Andrew Marvell
I ch kroch weiter voran. Der Strahl meiner Taschenlampe vermochte kaum die Dunkelheit zu durchdringen, die uns wie schwarze Tinte einhüllte. Plötzlich verharrte ich und knipste die Lampe aus.
»Was machen Sie da?«, rief J von hinten.
»Ich kann im Dunkeln sehen«, erwiderte ich flüsternd. »Und ich muss nach einem Spalt Ausschau halten, durch den Licht dringt. Irgendwo muss es eine Klappe nach draußen geben. Die Arbeiter müssen ja auch irgendwie hier reinkommen. Wie geht es Ihnen?«
»Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Beeilen Sie sich lieber. Irgendjemand wird schon bald nach uns suchen.« Ich stellte mir Männer in Mönchsgewändern vor, die in der einen Hand ein Kruzifix und in der anderen einen hölzernen Pfahl hielten. In Js Vorstellung hingegen handelte es sich vermutlich um Wachen, die mit Maschinenpistolen fuchtelten. Jeder hat sein eigenes Bild vom Schwarzen Mann.
Cormac meldete sich ebenfalls zu Wort, allerdings eher an J als an mich gewandt. »Wir müssen die Kisten zurücklassen. Wir verlieren nur Zeit damit.«
»Nein!«, entgegnete J.
»Machen Sie, was Sie wollen. Ich will jedenfalls so schnell wie möglich einen Weg hier heraus finden. Wartet! Seid still!«, flüsterte ich. Ich lauschte angestrengt. Durch das allgegenwärtige Brummen der Maschine hörte ich irgendwo vor mir die Glocke des Fahrstuhls. Wahrscheinlich reagierte die Opus-Dei-Belegschaft auf unser Eindringen. Hoffentlich hielten sie uns noch eine Weile lang für tot. Bis die Wände wieder in ihre ursprüngliche Position zurückgekehrt waren und man unseren Fluchtweg entdeckte, waren wir einigermaßen sicher. Ich fragte mich, wie viel Zeit uns wohl noch blieb. Vermutlich nicht mehr als zehn Minuten – sofern uns niemand durch die Decke kriechen hörte.
So leise wie möglich arbeitete ich mich in der unerbittlichen Dunkelheit voran und stieß mit einem Mal auf eine Abzweigung. Für welchen Tunnel sollte ich mich entscheiden? Der eine konnte immer tiefer ins Gebäude führen, der andere zu einem Ausgang. Schweiß trat auf meine Stirn. Vielleicht hing unser Leben davon ab, welchen Weg ich einschlug … Ich wandte mich nach rechts. Meine Haare berührten die Decke über mir, und eine Strähne verfing sich in irgendetwas. Als ich versuchte, sie mit der Hand zu lösen, bekam ich plötzlich Panik. Ich stellte mir vor, wie die Tonnen an Gestein und Beton über mir zusammenkrachten. Die Angst wurde zu meinem größten Feind und schnürte mir langsam die Kehle zu.
Ich schüttelte den Gedanken ab und holte tief Luft. Dann stutzte ich und schnüffelte erneut. Es roch schal und leicht chemisch, aber darüber hinaus nahm ich auch einen leichten Luftzug wahr. Irgendwo musste sich ein Ausgang befinden, doch würden wir ihn schnell genug erreichen? Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Und wie viel Uhr war es überhaupt? Vier Uhr? Fünf? Verdammt! Die Nacht war fast vorbei. Wir mussten uns beeilen.
Ich zwang mich dazu, Ruhe zu bewahren und fest daran zu glauben, dass sich irgendwo vor uns eine Klappe befand. Ich kroch weiter und spürte, wie mir das rauhe Holz Knie und Handflächen aufschürfte. Plötzlich sah ich vor mir einen schwachen, silbrigen Lichtstreifen. Mein Herz begann wie wild zu pochen, und Adrenalin schoss durch meine Adern. Ich fuhr hektisch mit den Fingern über die Wand, fand einen
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