Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
fragte ich.
»Ja«, erwiderte J und zuckte zusammen, als er vor einer roten Ampel bremsen musste.
»Das ist ja interessant«, sagte ich. Ich wusste über J lediglich, dass er einst als Ranger in der Army gedient hatte. Dieser Wagen war der erste flüchtige Blick, den ich auf J als Privatmensch warf. Ich kannte nicht einmal seinen richtigen Namen und hatte ihn noch nie außerhalb der Arbeit getroffen. Ich wusste nicht, wie alt er war, aus welcher Familie er stammte, ob er verheiratet war oder wo er wohnte. Aber nun wusste ich, dass er einen Pickup fuhr. Ich sah mich um. Vor dem Rückfenster stand ein Gestell für Waffen. Es konnte bedeuten, dass er gern auf die Jagd ging.
»Haben Sie einen Hund?«, wollte ich wissen.
»Warum?«, fragte er, sah aber weiter auf die Straße. Wir fuhren gerade über die Kreuzung am Central Park und Zweiundsiebzigste Straße und nahmen die Abzweigung Richtung Westside.
»Weil Sie einen Pickup fahren«, erwiderte ich. Ich fand meine Schlussfolgerung absolut einleuchtend. Plötzlich fühlte ich mich müde und ein wenig traurig. Wahrscheinlich ließ die Wirkung des Adrenalins langsam nach. Ich hatte J – wie oft, zwei Mal? – geküsst und wusste rein gar nichts über ihn. Die Situation erinnerte mich an meine Beziehung mit Darius, dessen Vergangenheit und Gegenwart mir ebenfalls ein Rätsel blieben. Darius war die große Liebe meines Lebens – oder zumindest hatte ich das geglaubt –, aber er war mir gegenüber nie ehrlich gewesen. Ich fand durch Zufall heraus, wo er wohnte und dass er ein Auto besaß. Doch die wesentlichen Informationen über sich machte er zu einem Geheimnis.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Hier und Jetzt zu und richtete erneut das Wort an J. »Wenn Sie einen Pickup fahren, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Sie auch einen Hund besitzen. Ich kann Sie mir hervorragend mit einem schwarzen Labrador oder einem Golden Retriever vorstellen. Ich wette, dass Sie am Wochenende Tarnhosen tragen. Und Sie haben ein Haus auf dem Land. Hey J, vielleicht haben Sie ja sogar eine Frau! Haben Sie?«
»Habe ich was? Einen Hund, ein Haus auf dem Land oder eine Frau?«, fragte er.
»Ach, vergessen Sie’s«, erwiderte ich, plötzlich wütend darüber, dass ich erst eine Quizrunde veranstalten musste, um eine vernünftige Antwort von ihm zu erhalten. Ich schaute aus dem Fenster. »Es geht mich schließlich nichts an«, fügte ich hinzu und bestärkte mich erneut in dem Entschluss, fortan keine Geheimnisse mehr in Beziehungen zuzulassen – auf beiden Seiten nicht. Und es würde auch keine Beziehungen mehr geben, die lediglich auf gutem Sex oder knisternder Chemie beruhten, wozu ich offenbar neigte. Was wollte ich überhaupt von einem Mann?
Er soll mich vervollständigen, kam mir sofort in den Sinn. Hey, Mädchen, ermahnte ich mich, der einzige Mensch, der dich vervollständigen kann, bist du selbst. Vergiss deine albernen Vorstellungen vom »Einssein«, von den zwei wiedervereinten Hälften, dem Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile, und diesen ganzen romantischen Quatsch. Finde lieber heraus, was du außer Sex willst, dann hast du eine reelle Chance auf Liebe – und zwar wahre Liebe, nicht nur Verliebtheit.
Meine Gedanken wanderten automatisch zu Fitz. Er war von Anfang an aufrichtig zu mir gewesen. Er hatte mich seiner Familie vorgestellt. Er hatte mir von seiner Vergangenheit erzählt. Er hatte zwar verschwiegen, dass er für den Secret Service arbeitete, aber in seiner letzten E-Mail – kurz bevor er angeschossen worden war – deutete er an, dass er mir auch das hatte erzählen wollen. Er benahm sich wie ein ganz normaler Typ, nicht wie einer, der von inneren Dämonen gequält und von Alpträumen verfolgt wird. Wenn man in Betracht zog, dass ich eine formvollendete Lügnerin war, eine clevere Diebin und ein blutsaugender Vampir noch dazu, war er wahrscheinlich viel zu gut für mich.
Ich schniefte und starrte aus dem Fenster auf die verdunkelten Schaufenster, die leeren Bürgersteige und die in schwarze Schatten gehüllten Hauseingänge, und ich dachte wieder an die Entscheidung, die ich bereits früher in dieser Nacht getroffen hatte. Ich wusste nicht, wie Fitz mein geplantes Geständnis aufnehmen würde, aber ich würde ihm trotzdem alles erzählen. In der düsteren Welt der Schatten, in der ich umherstreifte, verspürte ich plötzlich ein größeres Verlangen nach Ehrlichkeit als nach menschlichem Blut. Und ich wollte als der Vampir
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