Rendezvous Mit Dem Universum
Zusammensetzung ist logischerweise die gleiche. Dass aber auch die Form des Kleinen der Form des Großen ähnelt, ist so selbstverständlich nicht. Ist jedoch der Stein porös, dann hat der Berg wahrscheinlich Höhlen; ist der Berg schroff und schartig, dann ist auch der Stein nicht glatt und rund.
Einen guten Teil Ihrer sonntäglichen Wanderung zum Gipfel könnten Sie auch am Fuße des Berges im Sitzen hinter sich bringen. Nötig sind dazu nur Geduld und Einfühlungsvermögen. Eine Lupe ist hilfreich. Wenn Sie es vorziehen und erwachsen sind sowie geistig und körperlich gesund, können Sie statt der Lupe auch einen Trip nehmen. Es ist möglich, dass Sie dem Stein noch näher kommen. So oder so werden Sie feststellen, dass der Berg
im Großen wiederholt, was der Stein im Kleinen zeigt. Das ist keineswegs etwas Besonderes in der Natur.Viele Organismen wachsen, indem sie ein relativ einfaches Grundmuster immerzu wiederholen. So kommt es, dass der Ast strukturiert ist wie der Zweig und der Zweig wie die Blattnerven.
Nehmen wir ein anderes Beispiel. Nehmen wir einen Küstenstreifen. Egal welchen Maßstab wir wählen, wir werden immer mehr oder weniger das Gleiche sehen. Da mit jedem größeren Maßstab auch kleinere Ein- und Ausbuchtungen hervortreten, ist die wahre Länge eines Küstenstreifens schwer anzugeben. Je genauer die Darstellung, desto länger wird die Küste. Da uns niemand hindern kann, extrem große Maßstäbe zu verwenden, ist die Küste im Prinzip unendlich lang. Das hat der Mathematiker Benoit Mandelbrot bewiesen. Diesem Zeitgenossen verdanken wir noch ein paar mehr aufregende Erkenntnisse über unser Thema. Vor zwanzig Jahren fand Herr Mandelbrot beim Spielen mit seinen Zahlen heraus, dass die bildliche Darstellung bestimmter Zahlen, die man durch rückgekoppelte Gleichungen findet, verblüffend natürliche Formen hervorbringt, die ebenfalls selbstähnlich sind. Bei jeder Vergrößerung tauchen die gleichen Formen auf wie in allen anderen Maßstäben. Weil Benoit
Mandelbrot diesen Formen gebrochene Dimensionen zuordnete, nannte er sie Fraktale. Und ihm zu Ehren bezeichnet man heute die entsprechenden Zahlen als »Mandelbrot-Menge«. Im Gegensatz zu den glatten, euklidischen Idealkörpern wie Kugel und Würfel haben Fraktale unendlich raue Oberflächen und Ränder. Jede Vergrößerung zeigt neue Strukturen. In der Natur ist das der Regelfall. Ideale Körper kommen genauso wenig vor wie die Gerade.
Im Rechner erreicht man diesen Vorgang, indem man das Ergebnis einer Rechenvorschrift immer wieder mit dieser Rechenvorschrift füttert. In der Natur ist es wohl ähnlich. Das Ergebnis eines Wachstumsprozesses wird immer wieder mit den gleichen Umweltbedingungen und Naturgesetzen konfrontiert, und so entsteht immer wieder Ähnliches, egal wie weit das Wachstum fortgeschritten ist. Die Natur ist oft selbstähnlich. Es wird sogar vom selbstähnlichen Universum gesprochen.Auf der atomaren Ebene ist das sofort einleuchtend. Alles, was wir kennen, setzt sich aus kleinen Teilchen zusammen, die sich überall an die gleichen Gesetze zu halten haben. Und überall fügen sich kleinste Teilchen zu kleinen Einheiten zusammen, kleine Einheiten schließen sich zu größeren zusammen, diese zu großen und diese wiederum zu ganz großen, die
wir dann Pflanze, Tier oder Mensch nennen. Dann gestehen wir ihnen Leben und im Einzelfall sogar Intelligenz zu.
Aber wo ist der große Unterschied zwischen einem Menschen und einer Galaxis, wenn sie doch beide aus den gleichen Bausteinen bestehen? Was außer der Dimension unterscheidet ein Atom von einem Sonnensystem? Der Entwurf ist im Prinzip der geiche.
Wichtig ist dabei, dass mit jedem Schritt ein neues Ganzes entsteht. Das Atom ist eine eigenständige Einheit, aber das Molekül, zu dem sich mehrere Atome zusammenschließen, ist eine neue Einheit mit ganz anderen Qualitäten. So geht es ewig weiter: Zellen, Organe, Menschen, Familien, Völker, Kontinente, Planeten, Sonnensysteme, Galaxien, Galaxienhaufen und das All. Jedes Mal ein neues Ganzes auf einer höheren Ebene.Auf einer höheren Ebene, weil jedes Mal etwas dazukommt, was aus dem Ganzen mehr macht als die Summe seiner Teile. Dennoch bleibt es sich ähnlich. Ein Atomkern, den man 10 12 mal vergrößert, sieht genauso aus wie eine Galaxis 10 -23 -mal verkleinert. Unseren Sinnen zugänglich ist nur der mittlere Bereich, in dem wir unsere Umwelt tatsächlich wahrnehmen - ohne Vergrößerungen und Verkleinerungen.
Das
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