Rendezvous mit einem Mörder
Frau.
Es war totenstill. Und es war menschenleer. Sie hatte nichts anderes erwartet. Irgendwie hatte sie beim Betreten der Räume auf einen Geistesblitz gehofft, doch alles, was sie spürte, war das beständige Pochen ihrer Schläfen.
Ohne darauf zu achten, ging sie hinüber ins Schlafzimmer. Die Fenster hatte man ebenfalls mit undurchsichtigem Spray versiegelt, um die Medien und die auf geradezu morbide Weise Neugierigen daran zu hindern, vorbeizufliegen und sich den Tatort anzusehen. Sie fragte nach Licht, und einen Moment später sah sie das überdimensionale Bett.
Die Laken waren abgezogen, von der Forensik mitgenommen und Körperflüssigkeiten, Haut und Haare bereits analysiert und katalogisiert worden. Dort, wo das Blut durch die Satintücher gesickert war, war ein Fleck auf der Matratze.
Das mit Kissen überzogene Kopfteil des Bettes war geradezu blutgetränkt. Sie fragte sich, ob sich irgendjemand die Mühe machen würde, es reinigen zu lassen.
Dann schaute sie in Richtung des Tisches. Feeney hatte den kleinen Desktop-Computer mitgenommen, um sich neben den Disketten auch die Festplatte ansehen zu können. Das ganze Zimmer hatte man sorgfältig durchsucht. Es gab nichts mehr zu tun.
Trotzdem trat Eve an die Kommode und durchsuchte noch einmal methodisch die Schubladen. Wer würde all die Kleider haben wollen? Die Seide, die Spitze, den Kaschmir und Satin von einer Frau, die die Stoffe der Reichen auf ihrer Haut geliebt hatte.
Sicher hätte doch die Mutter Interesse an all diesen Dingen. Weshalb hatte sie also noch keinen Antrag auf Überlassung der Besitztümer der Tochter eingereicht?
Etwas, worüber es nachzudenken galt.
Anschließend durchsuchte Eve den Schrank, betastete nochmals Taschen und Futter von Röcken, Kleidern, Hosen, modischen Capes und Kaftans, Jacken und Blusen, ehe sie sich den Schuhen zuwandte, die ordentlich in Acrylschachteln aufbewahrt wurden.
Die Frau hatte auch nur zwei Füße gehabt, dachte sie leicht verärgert. Niemand brauchte sechzig Paar Schuhe. Mit einem leisen Schnauben schob sie die Finger bis nach vorne zu den Zehen der Pumps, in die tunnelartigen Offnungen der Stiefel oder in die fedrige Weichheit der aufblasbaren Sohlen.
Lola hatte nicht so viele gehabt. Zwei Paar lächerlich hochhackige Pumps, ein paar mädchenhafte Vinyl-Sandalen und ein einfaches Paar Airpump-Turnschuhe, die alle in ihrem schmalen Schrank herumgeflogen waren.
Sharon hingegen war nicht nur eitel gewesen, sondern auch über alle Maßen akkurat. Sie hatte ihre Schuhe ordentlich aufgereiht in – Falsch. Eve rann ein Schauder über den Rücken, als sie einen Schritt zurücktrat. Etwas war verkehrt. Der Schrank war groß wie ein Zimmer, und jeder Zentimeter Raum wurde genutzt. Jetzt klaffte in einem der Regale eine dreißig Zentimeter breite Lücke. Denn die Schuhe standen sechsfach übereinander gestapelt in Reihen zu acht Paaren.
So hatte Eve sie bei der ersten Durchsuchung weder vorgefunden noch zurückgelassen. Sharon hatte ihre Schuhe nach Farbe und Stilrichtung sortiert. Vierfach übereinander, und zwar in Zwölfer-Paar-Reihen.
Ein winziger Fehler, dachte sie mit einem schmalen Lächeln. Aber ein Mann, der einen Fehler machte, machte sicher einen zweiten.
»Würden Sie das noch mal wiederholen, Lieutenant?«
»Er hat die Schuhkartons falsch übereinander gestapelt, Commander.« Auf dem Rückweg nach Hause kämpfte sich Eve zitternd, weil die Heizung ihre Füße in eine Wolke kalter Luft hüllte, durch den dichten Verkehr. Ein Touristenflieger schwebte direkt über ihrem Wagen, und die Stimme der Führerin wies, als sie in Richtung fünfter Straße flogen, auf die an den Hochwegen gelegenen Boutiquen hin. Irgendeine idiotische Straßenbaumannschaft mit einer Sondergenehmigung für Tagarbeiten bohrte einen Tunnelzugang an der Ecke Sechster und Achtundsiebzigster, und Eve musste beinahe brüllen, damit der Commander sie verstand.
»Sie können es auf den Aufnahmen vom Tatort sehen. Ich weiß, wie der Kleiderschrank sortiert war. Es hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, dass ein einziger Mensch so viele Kleider haben und dann noch eine solche Ordnung halten konnte. Er war noch mal in der Wohnung.«
»Sie meinen, er wäre an den Ort seines Verbrechens zurückgekehrt?« Whitneys Stimme klang staubtrocken.
»Klischees sind meist in Tatsachen begründet.« In der Hoffnung auf ein wenig Ruhe bog sie in Richtung Westen ab und endete frustriert hinter einem klickenden Mikrobus.
Weitere Kostenlose Bücher