Rendezvous mit einem Mörder
bei der Polizei.
Dr. Mira hatte eine ruhige Stimme und einen beinahe unmerklichen Hauch des Akzents der oberen zehntausend aus Neuengland. Ihre hellblauen Augen waren freundlich – und zugleich durchdringend. Mit ihren sechzig Jahren war sie zwar mittleren Alters, doch weit davon entfernt, eine Matrone zu sein.
Ihre honigbraunen Haare hatte sie hinten zu einem ordentlichen, doch komplizierten Knoten zusammengesteckt, sie trug ein adrettes, altrosafarbenes Kostüm und hatte am Aufschlag eine schlichte, goldene Brosche festgemacht.
Nein, Eve hatte persönlich nichts gegen die Frau. Sie hasste ganz einfach Psychologen.
»Lieutenant Dallas.« Mira erhob sich aus ihrem weichen, runden, blauen Sessel, als Eve den Raum betrat.
Es gab weder einen Schreibtisch noch einen Computer. Einer der Tricks, wusste Eve, die einen entspannen und möglichst vergessen lassen sollten, dass man unter genauer Beobachtung stand.
»Doktor.« Eve setzte sich auf den ihr von Mira zugewiesenen Stuhl.
»Ich wollte gerade eine Tasse Tee trinken. Wollen Sie mir dabei vielleicht Gesellschaft leisten?«
»Sicher.«
Mira trat an den Elektrokellner, orderte zwei Tassen Tee und brachte dann die Tassen an den Tisch. »Leider wurde Ihre Untersuchung verschoben, Lieutenant.« Lächelnd nahm sie Platz und nippte vorsichtig an ihrem Tee. »Das Verfahren ist wesentlich aufschlussreicher und dementsprechend natürlich hilfreicher, wenn es innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach dem Zwischenfall angewandt wird.«
»Es war nun einmal nicht zu ändern.«
»So sagte man mir. Die Ergebnisse der Voruntersuchungen sind zufrieden stellend.«
»Fein.«
»Weigern Sie sich immer noch, sich hypnotisieren zu lassen?«
»Dieser Teil der Untersuchung ist nicht zwingend vorgeschrieben.« Sie hasste es, zu klingen, als wolle sie sich vor der Frau verteidigen.
»Das ist er.« Mira kreuzte gelassen ihre Beine. »Sie haben eine schwer zu verarbeitende Erfahrung machen müssen, Lieutenant. Sie weisen Zeichen körperlicher und emotionaler Erschöpfung auf.«
»Ich arbeite an einem neuen, sehr schwierigen Fall, der einfach sehr viel Zeit in Anspruch nimmt.«
»Ja, das wurde mir gesagt. Nehmen Sie die üblichen Schlafmittel?«
Eve kostete den Tee. Wie sie bereits vermutet hatte, schmeckte und duftete er blumig. »Nein. Aber darüber haben wir uns schon einmal unterhalten. Schlafmittel können freiwillig genommen werden, und ich nehme sie nun einmal nicht.«
»Weil sie Ihre Kontrolle einschränken.«
Eve sah ihr in die Augen. »Das ist richtig. Ich mag es nicht, künstlich in Schlaf versetzt zu werden, ebenso wenig, wie ich es mag, hier vor Ihnen zu sitzen. Ich habe etwas gegen die Vergewaltigung meines Gehirns.«
»Sie betrachten die Untersuchungen als eine Art von Vergewaltigung?«
Das tat jeder halbwegs vernunftbegabte Cop. »Schließlich wird man dazu gezwungen, oder etwa nicht?«
Mira unterdrückte einen Seufzer. »Die Tötung eines Menschen ist, ungeachtet der Umstände, unter denen sie erfolgt, immer eine traumatische Erfahrung für einen Polizisten. Falls dieses Trauma die Gefühle, die Reaktionen, die Haltung der Polizisten nachhaltig beeinflusst, leidet darunter seine Arbeit. Falls die Anwendung des gezielten Todesschusses durch einen körperlichen Defekt verursacht wurde, muss dieser Defekt geortet und behoben werden.«
»Ich kenne die Richtlinien, Doktor, und ich halte mich daran. Aber es muss mir nicht gefallen.«
»Nein, das muss es nicht.« Mira balancierte die Tasse auf ihren Knien. »Lieutenant, dies ist das zweite Mal, dass Sie einen gezielten Todesschuss angewandt haben. Obgleich das bei einem Beamten mit Ihrer Dienstzeit nicht weiter ungewöhnlich ist, gibt es trotzdem viele, die nie vor diese Entscheidung gestellt werden. Ich würde gerne wissen, wie Sie die von Ihnen getroffene Entscheidung und ihre Folgen beurteilen.«
Ich wünschte mir, ich wäre schneller gewesen, dachte Eve. Ich wünschte mir, das Kind würde jetzt mit seinen Puppen spielen, statt dass es eingeäschert wurde.
»Da ich vor der Wahl stand, mich von ihm in Stücke hacken zu lassen oder aber ihn daran zu hindern, habe ich keine Probleme mit meiner Entscheidung. Ich habe ihn ordnungsgemäß gewarnt, und er hat nicht darauf reagiert. Ihn zu betäuben war unmöglich. Der Beweis, dass er tatsächlich bereit war zu töten, lag in einer Blutlache auf dem Boden direkt zwischen uns. Aus dem Grund habe ich auch mit dem Resultat meiner Entscheidung kein Problem.«
»Der Tod
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