Rendezvous mit Mr Darcy
Stunde und vierzig Minuten später saß sie an ihrem offenen Fenster und ließ die Feder über ihre Wange streichen. Sie konnte Sebastian und Grace nirgendwo mehr sehen. Die Uhr in der Halle hatte vor einer Ewigkeit ein Uhr geschlagen. Um zwei würde das Bogenschießen beginnen.
Sie sah, wie ein Diener und ein Kutscher eine Kutsche bestiegen und in der Nachmittagshitze in Richtung Dartworth Hall losfuhren. Diener in Jacken mit langen Ärmeln und Perücken trugen große Holztische und -stühle für den Wettbewerb im Bogenschießen zum Rasen, während Dienstmädchen Holztabletts balancierten, auf denen sich Krüge mit Limonade und Puddingkränze aus Himbeeren befanden, deren Ränder mit Rosenblättern verziert waren.
Ein bisschen Musik wäre nett. Ihr wurde erst jetzt bewusst, wie sehr ihr das Radio, ihre CD s und die LP -Sammlung, und ja, sogar iTunes fehlten. Manchmal war es einfach so – still hier. Die Tatsache, dass Sebastian ihr einen Kater geschenkt hatte, versetzte sie in Hochstimmung. Er musste Gefühle für sie hegen!
Sie schlenderte zu ihrem Himmelbett, sprang auf ihre Matratze und schwang sich um einen der Bettpfosten. Ihr fiel ein Lied ein. Sie hatte seit geraumer Weile nichts anderes als das Pianoforte und die Harfe gehört, doch nun begann sie zu singen und ihre Hüften zu dem stampfenden Bass in ihrem Kopf zu schwingen. Bald schon wand sie sich in ihrem Korsett und den Strümpfen um den Bettpfosten herum, zog die weißen Strümpfe über ihre Ellenbogen, warf den Kopf zurück, ließ das Haar flattern, kitzelte ihre Beine mit der Feder und tollte herum wie eine Nachtklubtänzerin, als sich draußen vor ihrem Fenster, unten in der halbrunden Auffahrt – etwas bewegte. Sie blinzelte. Es war Sebastian! Er hatte seinen Zylinder auf und schaute mit seinem Feldstecher hoch zu ihr.
»Oh Gott!« Sie erstarrte einen Augenblick, ihr bestrumpftes Bein um den Bettpfosten gewickelt.
Sie hörte etwas tröpfeln – Wasser. Der Kater urinierte gerade neben ihre Abendschuhe.
Sebastian ging vor und zurück, um seinen Feldstecher scharf einzustellen. Sie wand sich von dem Bettpfosten, glitt von dem Bett herunter und schlug die Samtvorhänge zu wie bei einem schlechten Puppentheater. Ein Tanz an der Stange war nicht genau das, was ihr vorgeschwebt hatte. Sie wollte vielmehr etwas Damenhafteres, wie das Flirten am offenen Fenster mit heruntergelassenem Haar, denn damit sah sie gut aus, viel besser als mit der für das Regency typischen Hochsteckfrisur, mit der Sebastian sie bisher nur kannte, und sie wollte, dass er sie so sah. Schließlich zog sie die Vorhänge wieder zurück und sagte: »Wissen Sie, Unterricht im Stangentanz ist in Amerika eine weit verbreitete Sache.«
Er grinste. »Mir ist klar, warum. Bitte hören Sie wegen mir nicht auf. Ich finde es äußerst – unterhaltsam. Machen Sie weiter!«
Chloe lachte nur. »Ich muss mich für den Wettbewerb im Bogenschießen fertig machen.«
»Sie stehen auf meiner Liste, Miss Parker. Ich werde Sie besuchen, und Sie sollten besser zu Hause sein, wenn ich vorbeikomme.« Er verbeugte sich und ging.
Chloe sank auf die Chaiselongue aus Mahagoni und legte den Kopf in die Hände. Es war schwer, eine Dame zu sein, wenn die Dame eine Herumtreiberin war!
Es klopfte an der Tür. Sie schnappte sich ihr schokoladenfarbenes Bogenschießkostüm und hielt es sich an, als würde sie es von Kopf bis Fuß mustern.
Es war Fiona, und Chloe atmete erleichtert auf.
»Zeit, sich für den Wettbewerb im Bogenschießen umzuziehen«, sagte ihr Dienstmädchen, das beim Anblick von Chloes Haar nach Luft schnappte. »Warum tragen Sie Ihr Haar offen, Miss Parker? Sie wissen doch ganz genau, dass es eine halbe Stunde dauert, es wieder hochzustecken!«
Fiona steckte Chloes Haar so schnell und so nachlässig hoch, dass sie bereits spürte, wie sich ihre Frisur wieder aufzulösen begann, als sie mitten im Wettbewerb mit bereits einigen Punkten Rückstand versuchte, sich auf den Mittelpunkt der Zielscheibe zu konzentrieren.
Sie dachte immer noch an den Stangentanz. Ein Teil ihres Haars fiel ihr in den Nacken, was sie irritierte, weshalb sie die Bogensehne früher losließ, als sie wollte. Ein weiterer Pfeil prallte dann auch von der äußeren Kante des Ziels ab und fiel ins Gras. Wenn dies so weiterginge, würden die fünfzehn Vielseitigkeitspunkte zweifelsohne an Grace oder Julia gehen.
»Konzentrieren Sie sich!«, formte Mrs Crescent, die an der Seitenlinie auf einem Holzstuhl im Gras saß,
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