Rendezvous mit Mr Darcy
finden und so Grace überführen zu können.
Das Zimmer mit seiner Balkendecke und den bleiverglasten Flügelfenstern schien eher dem Stil der Gotik als dem des Regency zu entsprechen. Ein kleines Feuer brannte im Kamin, denn auch wenn es Anfang Juli war, war es kalt in dem Zimmer. Aber die Zeit drängte, und sie musste nun den Beweis für den Betrug von Grace finden, da der Butler morgens beim Frühstück angekündigt hatte, dass noch am gleichen Abend eine Einladungszeremonie auf Dartworth stattfinden würde. Zuvor sollten die Frauen jedoch ihr musikalisches Talent unter Beweis stellen.
Ihre Hände zitterten, als sie die Schubladen durchsuchte, denn so etwas tat sie normalerweise nie. Wirklich nicht.
Wenn sie in den Häusern anderer Menschen zur Toilette gegangen war, hatte sie noch nicht einmal einen Blick in deren Arzneischrank geworfen. Ihr Gewissen würde sie daran hindern, auch nur den Schrank des Waschtischs zu öffnen, um nach Toilettenpapier zu sehen, für den Fall, dass dieses ausgegangen wäre.
Sie zog an dem Griff der obersten Schublade, der wie ein Löwenkopf geformt war, und dieser ging mit einem scharrenden Geräusch auf. Ihr Herz klopfte, und sie sah nach der Tür, die jedoch zum Glück immer noch geschlossen war. Auf der Frisierkommode, deren Ablage aus Marmor bestand und fast doppelt so groß war wie die von Chloe, befand sich nicht nur eine Flasche mit Rosenwasser, sondern auch mit Lavendel- und Orangenwasser und eine Vase mit frisch gepflückten Kohlrosen.
Und sie fand auch wirklich alles, was sie erwartet hatte: Haarbänder, Haarkämme und einen – war das ein Lockenstab? Sie zog ihn heraus. Es war kein Lockenstab. Sie drückte den Einschaltknopf, und das Gerät begann zu vibrieren. Es war ein Vibrator!
»Igitt!« Sie ließ ihn auf den Boden fallen, wo er krachend neben dem Bein der Frisierkommode, das wie die Pfote eines Löwen geformt war, aufschlug, jedoch unverdrossen weitervibrierte. Chloe erstarrte. Ihr Blick wanderte wieder zu dem mit Perlen besetzten silbernen Türgriff. Draußen tat sich aber immer noch nichts.
Als sie auf das fleischfarbene pulsierende Plastikding auf dem Parkettboden blickte, drehte sich ihr der Magen um. Bei dem Gedanken, den Vibrator von Grace eingeschaltet zu haben, erfasste sie Ekel. Gott sei Dank trug sie jedoch ihre Spazierhandschuhe. Sie bückte sich, um das Ding aufzuheben und auszuschalten. Wie hatte Grace den bloß hereingeschmuggelt? Chloe wollte es aber eigentlich auch gar nicht wissen.
Den Vibrator in ihrer behandschuhten Hand haltend, schaute sie auf den kunstvoll verzierten, vergoldeten Spiegel, der die Größe eines Plasmafernsehers besaß und, schräg an die Wand angelehnt, auf der Frisierkommode stand. Mit Henrys Brille auf der Nase, die sie mittlerweile immer trug, wenn Sebastian nicht in der Nähe war, sah sie wie eine alte Jungfer aus. Und vielleicht war sie das ja auch. Sie besaß keinen Vibrator. Sie wusste noch nicht einmal genau, wie man ihn hielt. In ihren Händen wirkte er völlig fehl am Platze – ganz gleich, ob sie nun Kleider des Regency trug oder nicht.
Ihre haselnussbraunen Augen sahen durch die dicken Gläser von Henrys Brille brauner denn je aus und schienen weiter auseinanderzuliegen als sonst. Wenn sie sich in dem Spiegel in ihrem Zimmer, der so klein und so oval war wie ihr Gesicht, betrachtete, wirkte ihr bebrilltes Gesicht ganz normal. Der Biedermeierhut mit seiner Spitze aus Stroh und dem gerüschten weißen Rand rundete nun das Bild einer alten Jungfer ab. Sie runzelte die Stirn. Grace hatte sich über die Brille bereits köstlich amüsiert, und jetzt wusste Chloe auch warum. Sie nahm die Haube vom Kopf, drehte sie um, schob das gerüschte Baumwollfutter nach hinten und steckte den Vibrator hinein. Der Biedermeierhut hatte eine lang gezogene Spitze, fast wie ein Zylinder, sodass einiges hineinpassen konnte. Sie öffnete die beiden anderen Seitenschubladen des Tisches und fand eine halbe Packung Zigaretten, Zahnweißstreifen … und hurra! Die Kondome! Sie warf alles in die Haube, immer einen Blick auf die Tür gerichtet.
Natürlich war die Frisierkommode ein viel zu einfaches Versteck. Gab es etwa noch mehr davon? Sie spähte hinter den gekippten Spiegel, und ihr fiel etwas Silbernes auf. Sie fasste hinter den Spiegel und zog eine Blisterpackung mit Pillen heraus. Xanax? War das nicht ein Medikament gegen Angstzustände? Was könnte einer derart wunderschönen adligen Dame Angstattacken verursachen? Bitte. Sie
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